„Die Sonne geht auf? Und trotzdem wird sie untergehen. Die Nacht kündigt Verzweiflung an? Trotzdem wird auch sie vorübergehen und nie mehr wiederkommen. Wichtig ist, nicht aufzugeben, sich keinem fruchtlosen Fatalismus zu überlassen. König Salomo, der große Pessimist, hat es treffend gesagt: ‚Die Tage kommen, die Tage gehen. Eine Generation geht, eine andere kommt und wird wieder durch die nächste abgelöst. Nur die Erde besteht weiter, die Sonne geht auf, die Sonne geht unter…, was war, wird sein…‘ Soll man folglich die Zeit anhalten? Und den Lauf der Sonne? Manchmal muß man es versuchen. Selbst wenn es vergeblich ist? Auch dann. Manchmal ist es unsere Aufgabe, etwas zu versuchen, gerade weil es vergeblich ist. Weil am Ende des Weges der Tod auf uns wartet, müssen wir aus vollen Zügen leben. Weil ein Geschehen uns sinnlos erscheint, müssen wir ihm einen Sinn geben. Weil wir unsere Zukunft nicht in den Händen halten, müssen wir sie schaffen.“
Elie Wiesel, „Alle Flüsse fließen ins Meer. Autobiographie“, Hamburg, 1995, S. 30/31