Schlagwort-Archiv: Kunst

l’ars pour l’ars…

„Das Prinzip der idealistischen Ästhetik, Zweckmäßigkeit ohne Zweck, ist die Umkehrung des Schemas, dem gesellschaftlich die bürgerliche Kunst gehorcht: der Zwecklosigkeit für Zwecke, die der Markt deklariert. Schließlich hat in der Forderung nach Unterhaltung und Entspannung der Zweck das Reich der Zwecklosigkeit aufgezehrt. Indem aber der Anspruch der Verwertbarkeit von Kunst total wird, beginnt eine Verschiebung in der inneren ökonomischen Zusammensetzung der Kulturwaren sich anzukündigen. Der Nutzen nämlich, den die Menschen in der antagonistischen Gesellschaft vom Kunstwerk sich versprechen, ist weithin selber eben das Dasein des Nutzlosen, das doch durch die völlige Subsumtion unter den Nutzen abgeschafft wird. Indem das Kunstwerk ganz dem Bedürfnis sich angleicht, betrügt es die Menschen vorweg um eben die Befreiung vom Prinzip der Nützlichkeit, die es leisten soll. Was man den Gebrauchswert in der Rezeption der Kulturgüter nennen könnte, wird durch den Tauschwert ersetzt, anstelle des Genusses tritt Dabeisein und Bescheidwissen, Prestigegewinn anstelle der Kennerschaft. Der Konsument wird zur Ideologie der Vergnügungsindustrie, deren Institutionen er nicht entrinnen kann. Mrs. Miniver muß man gesehen haben, wie man Life und Time halten muß. Alles wird nur unter dem Aspekt wahrgenommen, daß es zu etwas anderem dienen kann, wie vage dies andere auch im Blick steht. Alles hat nur Wert, sofern man es eintauschen kann, nicht sofern es selbst etwa ist. Das ist der Gebrauchswert der Kunst, ihr Sein, gilt ihnen als Fetisch, und der Fetisch, ihre gesellschaftliche Schätzung, die sie als Rang der Kunstwerke verkennen, wird zu ihrem einzigen Gebrauchswert, der einzigen Qualität, die sie genießen. So zerfällt der Warencharakter der Kunst, indem er sich vollends realisiert.“

[M. Horkheimer, Th. Adorno in „Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente“, Frankfurt/Main, 1988 (17. Auflage von 2008), S. 167]

 

Jugend – oder die Kunst, die Krone zu behalten

„Jugend – das ist die Zeit, da noch nichts entschieden ist, da kann man alles noch entscheiden, wie man möchte, oder zumindest, wie man zu wollen glaubt. Man steht auf der Schwelle der ganzen Welt, hat Hunderte Türen vor sich, kann jede beliebige öffnen und hineinschauen, ohne einzutreten – wenn es einem nicht gefällt, schlägt man die Tür wieder zu und öffnet eine andere. Das verleiht ein ungeheures Allmachtsgefühl: Jugend ist Allmacht. Doch dann, wenn alles vorbei ist – als hätte man dir die Königskrone wieder abgenommen. Alle Menschen finden sich damit ab, sie ahnen nicht einmal, dass sie eine Krone aufhatten und man sie ihnen abgenommen hat…“

[Die bezaubernde Marussja in einem Brief an einen Freund, den Erzähler in dem wunderschönen und besonderen Buch von „Vladimir Jabotinsky, Die Fünf“ aus dem Russischen übersetzt von Ganna-Maria Braungardt“]

die Kunst ist eine Tochter der Freiheit

„Ich möchte nicht gern in einem andern Jahrhundert leben und für ein andres gearbeitet haben. Man ist eben so gut Zeitbürger, als man Staatsbürger ist; und wenn es unschicklich, ja unerlaubt gefunden wird, sich von den Sitten und Gewohnheiten des Zirkels, in dem man lebt, auszuschließen, warum sollte es weniger Pflicht sein, in der Wahl seines Wirkens dem Bedürfniß und dem Geschmack des Jahrhunderts eine Stimme einzuräumen?

Diese Stimme scheint aber keineswegs zum Vortheil der Kunst auszufallen, derjenigen wenigstens nicht, auf welche allein meine Untersuchungen gerichtet sein werden. Der Lauf der Begebenheiten hat dem Genius der Zeit eine Richtung gegeben, die ihn je mehr und mehr von der Kunst des Ideals zu entfernen droht. Diese muß die Wirklichkeit verlassen und sich mit anständiger Kühnheit über das Bedürfniß erheben; denn die Kunst ist eine Tochter der Freiheit, und von der Nothwendigkeit der Geister, nicht von der Nothdurft der Materie will sie ihre Vorschrift empfangen. Jetzt aber herrscht das Bedürfniß und beugt die gesunkene Menschheit unter sein tyrannisches Joch. Der Nutzen ist das große Ideal der Zeit, dem alle Kräfte frohnen und alle Talente huldigen sollen. Auf dieser groben Waage hat das geistige Verdienst der Kunst kein Gewicht, und aller Aufmunterung beraubt, verschwindet sie von dem lärmenden Markt des Jahrhunderts.

[Johann Friedrich Schiller. „Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen, in einer Reihe von Briefen“ in Schillers Sämmtliche Werke,4. Band, Stutgart, 1879, S. 560  – via gutenberg.spiegel.de]

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„In der gewöhnlichen Erfahrung verbinden wir die Phänomene nach Kausalitäts-. oder Finalitätskategorien. Je nachdem, ob wir uns für die theoretischen Begründungen oder die praktischen Wirkungen der Dinge interessieren, betrachten wir sie als Ursachen oder als Mittel. So verlieren wir ihre unmittelbare Erscheinung meist aus dem Blick, bis wir sie überhaupt nicht mehr direkt wahrzunehmen vermögen. Auf der anderen Seite lehrt uns die Kunst, die Dinge zu visualisieren, statt sie nur zu konzeptualisieren und unter Nützlichkeitsgesichtspunkten anzusehen. Die Kunst gewährt uns ein reiches, anschauliches, farbiges Bild der Wirklichkeit und einen tiefen Einblick in ihre formale Struktur. Es ist kennzeichnend für den Menschen, daß er nicht auf einen einzigen, spezifischen Zugang zur Wirklichkeit festgelegt ist, sondern seinen Blickwinkel selbst wählen und auf diese Weise von einer Ansicht der Dinge zu einer anderen wechseln kann.“

[Ernst Cassirer, in „Versuch über den Menschen“, übesetzt von Reinhard Kaiser, Hamburg, 2007, S. 261]

was er webt, weiß kein Weber :)

„Nirgends natürlich gilt im absoluten Sinne, überall aber im relativen: Was er webt, weiß kein Weber. Die fertige Leistung enthält Akzente, Relationen, Werte, rein ihrem Sachbestande nach und gleichgültig dagegen, ob der Schaffende gewußt hat, daß dies der Erfolg seines Schaffens sein wird. Es ist ein ebenso geheimnisvolles wie unbezweifelbares Faktum, daß an ein materielles Gebilde ein geistiger Sinn, objektiv und für jedes Bewußtsein reproduzierbar, gebunden sein kann, den kein Bewußtsein hineingelegt hat, sondern der an der reinen, eigensten Tatsächlichkeit dieser Form haftet.“

[Georg Simmel in „Der Begriff und die Tragödie der Kultur“, zitiert nach Konersmann, Grundlagentexte Kulturphilosophie, Hamburg, 2009 S. 70]

Mut und Demut

„Die Vernunft hat sich von den Täuschungen der Sinne und von einer betrüglichen Sophistik gereinigt, und die Philosophie selbst, welche uns zuerst von ihr abtrünnig machte, ruft uns laut und dringend in den Schoß der Natur zurück – woran liegt es daß wir noch immer Barbaren sind?

Es muss also, weil es nicht in den Dingen liegt, in den Gemütern der Menschen etwas vorhanden sein, was der Aufnahme der Wahrheit, auch wenn sie noch so hell leuchtete, und der Annahme derselben, auch wenn sie noch so lebendig überzeugte, im Wege steht. Ein alter Weiser hat es empfunden, und es liegt in dem vielbedeutenden Ausdruck versteckt:   s a p e r e    a u d e.

Erkühne dich, weise zu sein. Energie des Muts gehört dazu, die Hindernisse zu bekämpfen, welche sowohl die Trägheit der Natur als die Feigheit des Herzens der Belehrung entgegen setzen.“

[Friedrich Schiller 1795 im 8. Brief in „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“, Frankfurt/M. 2009, S.33]

 

Ein Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet.

„Was ist mein Traum? Die Musik, das Theater, die Poesie – kurz: die Kunst – transportieren die Menschen jenseits ihrer selbst. Die Kunst hat Waffen, welche der analytische Verstand nicht besitzt: Sie wühlt den Zuhörer, Zuschauer in seinem Innersten auf, durchdringt auch die dickste Betondecke des Egoismus, der Entfremdung und der Entfernung. Sie trifft den Menschen in seinem Innersten, bewegt in ihm ungeahnte Emotionen.

Und plötzlich bricht die Defensiv-Mauer seiner Selbstgerechtigkeit zusammen. Der neoliberale Profitwahn zerfällt in Staub und Asche. Ins Bewusstsein dringt die Realität, dringen die sterbenden Kinder. Wunder könnten in Salzburg geschehen: Das Erwachen der Herren der Welt. Der Aufstand des Gewissens! Aber keine Angst, dieses Wunder wird in Salzburg nicht geschehen! Ich erwache. Mein Traum könnte wirklichkeitsfremder nicht sein! Kapital ist immer und überall und zu allen Zeiten stärker als Kunst. ‚Unsterbliche gigantische Personen‘ nennt Noam Chomsky die Konzerne….“

[Jean Ziegler in der Süddeutschen Zeitung am 24.7.2011 unter dem Aritkel „Nichtgehaltene Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele“]