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Überdruss – Schade, dass Huizinga sich geirrt hat

„Nunmehr erhebt sich die Frage, ob der menschliche Geist zu lernen fähig ist, sich – in dieser belasteten und überladenen Welt – auf die allumfassenden und wahren Werte zurückzuziehen, und ob er geneigt ist, auf das Entbehrliche und Nutzlose, auf das Sinnlose und Geschmacklose zu verzichten. Es ist deutlich, daß eine solche Bereitschaft zu freiwilligem Verzicht auf viele angebliche Errungenschaften etwas ganz anderes bedeuten würde als das törichte Heimweh nach einer Vergangenheit, die man nach einem idealisierten Bilde wiederherstellen möchte.

Kann man aber eine geistige Entwicklung zu solchem Verzicht auf vermeintliche Vorteile für möglich oder gar wahrscheinlich halten? Am leichtesten könnte man sich noch vorstellen, daß bestimmte Sitten und Gewohnheiten unseres Kulturlebens auf die Dauer aus der Mode kämen, da man ihrer einfach überdrüssig wird. Es scheint doch beinahe unvermeidlich, daß die Menschheit von der geschwätzigen Oberflächlichkeit der Publizitätsmaschine einmal übersättigt sein wird. Die tägliche Überladung mit der durch Film und Radio gelieferten Kost muß schließlich auch den halbgebildeten Massen ein Gefühl des Überdrusses geben. Die politische und kommerzielle Reklame, dies Ungeheuer, das dem Schoße des technischen Zeitalters entsprang, muß doch irgendwann einmal durch den Widerwillen eines übersättigten Publikums ihre Wirkung verlieren.“

[Johan Huizinga in „Wenn die Waffen schweigen“, S. 182, Basel, 1945]

kult.ur

„Obwohl das Phänomen einer Kultur, die wir uns vorstellen für uns eine Wirklichkeit ist, die irgendwann einmal bestanden hat oder sogar noch besteht, kann man es nicht als Entität betrachten. Kultur ist und bleibt eine Abstraktion, die von uns gegebene Bezeichnung für einen historischen Zusammenhang. […] Bei jeder Kultur fühlen wir das Bedürfnis, sie zu objektivieren und als etwas Wesenhaftes, als ein historisches Ganzes zu sehen; aber dieser Wunsch bleibt […] stets unbefriedigt.“

„Wir müssen uns immer wieder vor Augen führen, daß der Ausdruck ‚Kultur‘ nur ein Etikett ist, mit dem unser jetziger Verstand die Überlieferung der Vergangenheit versieht: ein Begriff, der uns entgleitet, sobald wir glauben, ihn unmittelbar zu erfassen.“

„Der Kulturbegriff bleibt, wie so viele andere historische Begriffe, nur deshalb gerechtfertigt und brauchbar, weil wir außerstande sind, einen besseren an seine Stelle zu setzen. Er verdankt seine Daseinsberechtigung allein einer gewissen oberflächlichen Verständlichkeit.“

[Johan Huizinga in „Wenn die Waffen schweigen“, Basel, 1945, S. 33, 38 f. und 62]