„Letztlich wird man sagen müssen, daß Art und Möglichkeit des christlichen Heiligenbildes engstens mit dem personalen Theismus verknüpft sind: Sofern sich Gott als Herr der Welt und Freund der Menschen offenbart und über den Tod hinausführt, gibt es auch „seine Heiligen“. So entscheidet das Gottesbild notwendig über Art und Sein der Heiligen. Schon wenn man das biblische Gottesbild neben das griechische stellt, ergeben sich deutliche Unterschiede mit Auswirkung auch auf den Gottesmenschen: Im Griechentum ist die Gottheit Geist (nous), und wegen dieser Geisthaftigkeit dominiert die Bindung an die vernünftige Ordnung. Für die Gottheit sind darum nicht alle Dinge möglich; Willkür ist ausgeschlossen. Der Mensch hat mit seinem Nous den göttlichen Funken in sich; wenn er ihn freilegt und reinigt, kann er zur Göttlichkeit aufsteigen, ja sich im Göttlichen verschmelzen. Es ist der Weg der Aufstiegsmystik.
Anders die Bibel; ihr zufolge steht Gott über Mensch uns Welt, bleibt in jeder Hinsicht der überlegene Herr; denn er verkörpert Macht und Willen. Gleichzeitig ist alles von ihm abhängig, doch hat er ein gnädiges Herz. Für das menschliche Handeln ergibt sich daraus: Nicht Einsicht und Verschmelzung mittels des Nous, „sondern Gehorsam gegenüber Jahwes erlassenen Geboten wie auch seinen einmaligen Befehlen befähigen den Heiligen zum richtigen Handeln.“
Mit ihren unterschiedlichen Akzentuierungen haben beide Gottesbilder spezifische Stärken und auch Schwächen: Das griechische Gottesbild ist kosmisch interpretierbar, daß nämlich in Welt und Mensch Geist von Gottes Art wirkt, der beide verbindet. Menschlicher Gottesdienst zielt darum vorrangig auf Erkenntnis, ist „Theoria“-Schau, um so die Teilhabe an Gott zu gewinnen. Aber es bleibt die Frage, ob „das Göttliche sich um die Menschen, um den einzelnen Menschen kümmert“; das ist die bleibende „Wunde“.
Wie aber der griechische Beter sich mit dem göttlichen Geist vereint, so obliegt es dem biblischen Beter, sich mit Gottes Willen zu identifizieren: „Dein Wille geschehe“ (Mt. 6,10). Gehorsam ist darum nach biblischer Auffassung das erste, das dem Menschen abverlangt wird, selbst wenn es gegen seine Einsicht geht. Überhaupt ist Gottes Wille grundsätzlich nicht „“ausdenkbar“, er muß sich vielmehr offenbaren, und der Mensch hat zu folgen; darum die Verdemütigung und der Gehorsam.“
[Arnold Angenendt in „Heilige und Reliquien.Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart“, München, 1994, S. 349/350]