Schlagwort-Archiv: Freiheit

Was zur Hölle ist Wasser?

„Die Kultur unserer Gegenwart hat diese Kräfte eingespannt und so außerordentlichen Reichtum, Annehmlichkeit und persönliche Freiheit gewonnen. Die Freiheit, die Herren unserer eigenen winzigen, schädelgroßen Königreiche zu sein, allein im Zentrum aller Schöpfung. Und für diese Art Freiheit spricht viel.

Aber natürlich gibt es viele verschiedene Formen von Freiheit, und über die kostbarste werden Sie draußen in der großen Welt des Gewinnens und Erreichens und Herzeigens nicht viel zu hören kriegen. Zu der wirklich wichtigen Form von Freiheit gehören Aufmerksamkeit und Bewusstheit und Disziplin und Bemühen und die Fähigkeit, sich anderen Menschen wahrhaftig zuzuwenden und Opfer für sie zu bringen, wieder und wieder, jeden Tag, auf Myriaden von Arten, die trivial, klein und unsexy sind. Das ist wirkliche Freiheit.

Die Alternative ist Bewusstlosigkeit, die Standardeinstellung, die „Tretmühle“ – das ständige nagende Gefühl, etwas Unendliches gehabt und verloren zu haben.“

[David Foster Wallace in einer Rede vor den Absolventen des Kenyon College in Ohio, 2005 übersetzt von Wieland Freund]

Warum der Staat nicht für unser Glück zuständig ist

„…In Ansehung der ersteren (der Glückseligkeit) kann gar kein allgemein gültiger Grundsatz für Gesetze gegeben werden. Denn, so wohl die Zeitumstände, als auch der sehr einander widerstreitende und dabei immer veränderliche Wahn, worin jemand seine Glückseligkeit setzt (worin er sie aber setzen soll, kann ihm niemand vorschreiben), macht alle feste Grundsätze unmöglich, und zum Prinzip der Gesetzgebung für sich allein untauglich. Der Satz: Salus publica suprema civitatis lex est, bleibt in seinem unverminderten Wert und Ansehen; aber das öffentliche Heil, welches zuerst in Betrachtung zu ziehen steht, ist gerade diejenige gesetzliche Verfassung, die jedem seine Freiheit durch Gesetze sichert: wobei es ihm unbenommen bleibt, seine Glückseligkeit auf jedem Wege, welcher ihm der beste dünkt, zu suchen, wenn er nur nicht jener allgemeinen gesetzmäßigen Freiheit, mithin dem Rechte anderer Mituntertanen, Abbruch tut.“

[Immanuel Kant in „Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis“, 1793]

Gerechtigkeit und Freiheit

"Die Freiheit und die Gerechtigkeit stellen die beiden Ideen dar, mit denen die Politik operiert, durch die sie den Menschen insoweit in den Griff bekommt, als sie beide Ideen berücksichtigt. Läßt die Politik eine der Ideen fallen, wird sie fragwürdig. Ohne Freiheit wird sie unmenschlich und ohne Gerechtigkeit ebenfalls. Dennoch ist die Beziehung der Freiheit zur Gerechtigkeit problematisch. Eine allgemeine Phrase definiert die Politik als die Kunst des Möglichen; sieht man jedoch genauer hin, erweist sie sich als die Kunst des Unmöglichen. Die Freiheit und die Gerechtigkeit bedingen einander nur scheinbar. Die existentielle Idee der Freiheit steht auf einer anderen Ebene als die logische Idee der Gerechtigkeit. Eine existentielle Idee ist emotional gegeben, eine logische Idee konzipiert. Es läßt sich eine Welt der absoluten Freiheit denken und eine Welt der absoluten Gerechtigkeit. Diese beiden Welten würden sich nicht decken, sondern einander widersprechen. Beide würden zwar eine Hölle darstellen, die Welt der absoluten Freiheit einen Dschungel, wo der Mensch wie ein Wild gejagt, die Welt der absoluten Gerechtigkeit ein Gefängnis, wo der Mensch zu Tode gefoltert wird. Die unmögliche Kunst der Politik besteht darin, die emotionale Idee der Freiheit mit der konzipierten Idee der Gerechtigkeit zu versöhnen; das ist nur auf der Ebene des Moralischen möglich und nicht auf der Ebene des Logischen. Anders gesagt: Die Politik vermag nie eine reine Wissenschaft zu sein."

[Friedrich Dürrenmatt in „Monstervortrag über Gerechtigkeit und Recht“, 1969]

Wahrheit spricht mit leiser Stimme

„Es gibt heute eine gewisse Einsicht in die Tatsache, dass ein extremer relativistischer Individualismus eine soziale Katastrophe bedeutet und dass keine Zivilisation bestehen kann ohne einen gewissen Wertekonsens. Aber wo Erziehung im Sinne dieses Konsenses tätig ist ohne den Glauben an die Wahrheit dessen, was sie vermittelt, da handelt es sich nur um eine Konditionierung zugunsten eines Autoritarismus, der sich heute in der Regel als „political correctness“ präsentiert. Er zielt auf Anpassung, nicht auf Wahrheit.

Einsicht in Wahrheit aber gibt es nur in Freiheit. Verhalten kann und muss gelegentlich erzwungen werden. Wahrheitseinsicht und Glauben können nicht erzwungen werden. Die Wahrheit spricht mit leiser Stimme.“

[Robert Spaemann im Artikel „Wahrheit spricht mit leiser Stimme“ im Kölner Stadtanzeiger, Online-Veröffentlichung am 12.06.2008]

Freiheit und Wille

„Alle Menschen denken sich dem Willen nach als frei. Daher kommen alle Urteile über Handlungen als solche, die hätten geschehen sollen, ob sie gleich nicht geschehen sind.

Freiheit aber ist eine bloße Idee, deren objektive Realität auf keine Weise nach Naturgesetzen, mithin auch nicht in irgend einer möglichen Erfahrung dargetan werden kann, die also darum, weil ihr selbst niemals nach irgend einer Analogie ein Beispiel untergelegt werden mag, niemals begriffen oder auch nur eingesehen werden kann. Sie gilt nur als notwendige Voraussetzung der Vernunft in einem Wesen, das sich eines Willens, d.i. eines vom bloßen Begehrungsvermögen noch verschiedenen Vermögens (nämlich sich zum Handeln als Intelligenz, mithin nach Gesetzen der Vernunft, unabhängig von Naturinstinkten zu bestimmen) bewußt zu sein glaubt. Wo aber Bestimmung nach Naturgesetzen aufhört, da hört auch alle Erklärung auf, und es bleibt nichts übrig als Verteidigung, d.i. Abtreibung der Einwürfe derer, die tiefer in das Wesen der Dinge geschaut zu haben vorgeben und darum die Freiheit dreist für unmöglich erklären.“

[Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 1785]

Sapere aude!

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.

Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung frei gesprochen, dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt, u.s.w., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen…“

[Immanuel Kant, 1784 in der Berlinischen Monatsschrift als Beantwortung der Frage: „Was ist Aufklärung?“]

 

an diesen Text kann man sich gar nicht oft genug erinnern…

 

Authentizität contra Aufrichtigkeit

„In einer berühmten Vorlesungsreihe prägte der New Yorker Literaturkritiker Lionel Trilling 1970 zwei diametral entgegengesetzte kulturelle Leitbegriffe, die er mit den englischen Worten sincerity (Aufrichtigkeit) und authenticity (Authentizität) umschrieb.

Sincerity hieß für Trilling die Bemühung des Einzelnen, das äußere soziale und das innere private Leben ohne Selbstverstellung möglichst in Einklang zu bringen. Authenticity dagegen sei von der Suche nach Selbstbefreiung und -offenbarung geprägt. Sincerity impliziere ein gewisses Verständnis für die Erfordernisse des Gesellschaftlichen, für Tradition und für die Notwendigkeit des redlichen Rollenspiels. Authenticity dulde im Gegenteil ungern das Konventionelle; sie verlange das ungebundene Ausleben des Ichs.

In der Kulturgeschichte Westeuropas über die letzten 500 Jahre erkannte Trilling ein stetes Oszillieren zwischen diesen zwei ethischen Orientierungen. Spätestens seit der Romantik sei die westliche Moderne jedoch durch einen Siegeszug der Authentizität auf Kosten der alten Aufrichtigkeit gekennzeichnet gewesen.“

[Christopher Clark im Artikel „Keine von uns“ im Feuilleton der ZEIT vom 15. Juli 2010]