Schlagwort-Archiv: Freiheit

regelmäßig, fürsorglich und mild

„I seek to trace the novel features under which despotism may appear in the world. The first thing that strikes the observation is an innumerable multitude of men, all equal and alike, incessantly endeavoring to procure the petty and paltry pleasures with which they glut their lives. Each of them, living apart, is as a stranger to the fate of all the rest; his children and his private friends constitute to him the whole of mankind. As for the rest of his fellow citizens, he is close to them, but he does not see them; he touches them, but he does not feel them; he exists only in himself and for himself alone; and if his kindred still remain to him, he may be said at any rate to have lost his country.

Above this race of men stands an immense and tutelary power, which takes upon itself alone to secure their gratifications and to watch over their fate. That power is absolute, minute, regular, provident, and mild. It would be like the authority of a parent if, like that authority, its object was to prepare men for manhood; but it seeks, on the contrary, to keep them in perpetual childhood: it is well content that the people should rejoice, provided they think of nothing but rejoicing. For their happiness such a government willingly labors, but it chooses to be the sole agent and the only arbiter of that happiness; it provides for their security, foresees and supplies their necessities, facilitates their pleasures, manages their principal concerns, directs their industry, regulates the descent of property, and subdivides their inheritances: what remains, but to spare them all the care of thinking and all the trouble of living?“

Alexis de Tocqueville, Democracy in America (Volume II, Section 4), 1840

online verfügbar via http://xroads.virginia.edu/~HYPER/DETOC/toc_indx.html

sich selbst erneuern…

„Man liebt es, sich zuzeiten aufs Land, ins Gebirge, an die See zurückzuziehn. Auch du sehnst dich vielleicht dahin. Im Grunde genommen aber steckt dahinter eine große Beschränktheit. Es steht dir ja frei, zu jeglicher Stunde dich in dich selbst zurückzuziehn, und nirgends finden wir eine so friedliche und ungestörte Zuflucht als in der eignen Seele, sobald wir nur etwas von dem in uns tragen, was wir nur anzuschauen brauchen, um uns in eine vollkommen ruhige und glückliche Stimmung versetzt zu sehn — ­eine Stimmung, die nach meiner Ansicht freilich ein anständiges, sittliches Wesen bedingt.

Auf diese Weise also ziehe dich beständig zurück, um dich immer wieder auf zufrischen. Einfach und klar und bestimmt aber seien jene Ideen, die aus deiner Seele so manches hinweg spülen, wenn du sie dir vergegenwärtigst, und dir eine Zuflucht schaffen sollen, aus der du nicht übel launisch zurückkehrst. Und was sollte dich auch alsdann verdrießen?

“Die Schlechtigkeit der Menschen?” Aber wenn du bedenkst, daß die vernünftigen Wesen füreinander geboren sind, daß das Ertragen des Unrechts zur Gerechtigkeit gehört, daß die Menschen unfreiwillig sündigen, und dann — ­wie viel streitsüchtige, argwöhnische, gehässige und gewalttätige Menschen dahin gemußt haben und nun ein Raub der Verwesung sind — ­wirst du da deine Abneigung nicht los werden?

“Oder ist es dein Schicksal?” So erinnere dich nur jenes Zwiefachen: entweder wir sagen: es gibt eine Vorsehung, oder: wir sehen uns als Teile und Glieder eines Ganzen an, und unserer Betrachtug der Welt liegt die Idee eines Reiches zugrunde.

“Oder ist es dein Leib, der irgendwie schmerzt?” Aber du weißt ja, der Geist, wenn er sich selbst begriffen und seine Macht kennen gelernt hat, hängt nicht ab von sanfteren oder rauheren Lüften; auch weißt du, wie wir über Schmerz und Freude denken, und bist einverstanden damit.

“Oder macht dir der Ehrgeiz zu schaffen?” Aber wie schnell breitet Vergessenheit über alles ihren Schleier! wie unablässig drängt eins das andere in dieser Welt ohne Anfang und ohne Ende! Wie nichtig ist jeder Nachklang unseres Tuns! wie veränderlich und wie urteilslos jede Meinung, die sich über uns bildet und wie eng der Kreis, in dem sie sich bildet! Die ganze Erde ist ja nur ein Punkt im All, und wie klein ist nun wieder der Winkel auf ihr, wo von uns die Rede sein kann! Wie viele können es sein, und was für welche, die unsern Ruhm verkünden?

In der Tat also gilt es sich zurückzuziehen auf eben diesen kleinen Raum, der unser ist, und hier sich weder zerstreuen, noch einspannen zu lassen, sondern sich frei zu bewegen und die Dinge anzusehen wie ein Mensch, wie ein Glied der Gesellschaft, wie ein sterbliches Wesen. Unter allen Wahrheiten aber, die dir am geläufigsten sind, müssen jedenfalls die beiden sein: die eine: daß Außendinge die Seele nicht berühren dürfen, sondern wirklich Außendinge sein und bleiben müssen. Denn Widerwärtigkeiten gibt es nur für den, der sie dafür hält. Die andere: daß alles, was du siehst, sich bald verwandeln und nicht mehr sein werde, wie du selbst schon eine Menge Wandlungen durchgemacht hast. Mit einem Wort: die Welt ist ein ewiger Wechsel, das Leben ein Wahn!

[Marc Aurel, Selbstbetrachtungen 4. Buch, Kapitel 3, zitiert nach Ebook-Veröffentlichung des Gutenberg-Projekts vom February 12, 2005 (EBook #15028), die Übersetzung folgt Schneider (1862) und Cleß (1866)]

errare humanum est…

„Wenn ich nun nicht klar und deutlich genug erfasse, was wahr ist, so ist klar, daß ich recht daran tue und mich nicht täusche, wenn ich mich des Urteils enthalte; daß ich aber von meiner Freiheit nicht den richtigen Gebrauch mache, wenn ich irgend etwas behauptete oder leugnete. Wendete ich mich der falschen Seite zu, so irrte ich mich völlig, wählte ich aber die andere, so träfe ich zwar zufällig auf die Wahrheit, wäre aber darum nicht von Schuld frei, da ja das natürliche Licht augenscheinlich macht, daß die Verstandeserkenntnis stets der Willensbestimmung vorhergehen muß. Und in diesem unrichtigen Gebrauche meiner Wahlfreiheit liegt der Mangel, welcher den Begriff des Irrtums ausmacht…

Und außerdem, wenn ich mich auch nicht auf die erste Art von Irrtum bewahren kann, die nämlich eine klare Einsicht in all das voraussetzt, was zu erwägen ist, so kann ich es doch auf die zweite, die nur vorraussetzt, sich gegenwärtig zu halten, daß man sich des Urteils enthalten soll, sooft nicht klar ist, wie es mit einer Sache in Wahrheit bestellt ist. Denn zwar bin ich mir meiner Schwäche bewußt, nicht stets bei einer und derselben Erkenntnis beharren zu können; dennoch kann ich durch aufmerksames und häufig wiederholtes Nachdenken bewirken, daß ich mich ihrer, sooft es nötig ist, erinnere und mir so eine gewisse Gewohnheit, nicht zu irren, erwerbe.“

[René Descartes, Meditationes de prima philosophia (lateinisch-deutsch), Hamburg, 1959, S. 109 und 113]

Jugend – oder die Kunst, die Krone zu behalten

„Jugend – das ist die Zeit, da noch nichts entschieden ist, da kann man alles noch entscheiden, wie man möchte, oder zumindest, wie man zu wollen glaubt. Man steht auf der Schwelle der ganzen Welt, hat Hunderte Türen vor sich, kann jede beliebige öffnen und hineinschauen, ohne einzutreten – wenn es einem nicht gefällt, schlägt man die Tür wieder zu und öffnet eine andere. Das verleiht ein ungeheures Allmachtsgefühl: Jugend ist Allmacht. Doch dann, wenn alles vorbei ist – als hätte man dir die Königskrone wieder abgenommen. Alle Menschen finden sich damit ab, sie ahnen nicht einmal, dass sie eine Krone aufhatten und man sie ihnen abgenommen hat…“

[Die bezaubernde Marussja in einem Brief an einen Freund, den Erzähler in dem wunderschönen und besonderen Buch von „Vladimir Jabotinsky, Die Fünf“ aus dem Russischen übersetzt von Ganna-Maria Braungardt“]

die Kunst ist eine Tochter der Freiheit

„Ich möchte nicht gern in einem andern Jahrhundert leben und für ein andres gearbeitet haben. Man ist eben so gut Zeitbürger, als man Staatsbürger ist; und wenn es unschicklich, ja unerlaubt gefunden wird, sich von den Sitten und Gewohnheiten des Zirkels, in dem man lebt, auszuschließen, warum sollte es weniger Pflicht sein, in der Wahl seines Wirkens dem Bedürfniß und dem Geschmack des Jahrhunderts eine Stimme einzuräumen?

Diese Stimme scheint aber keineswegs zum Vortheil der Kunst auszufallen, derjenigen wenigstens nicht, auf welche allein meine Untersuchungen gerichtet sein werden. Der Lauf der Begebenheiten hat dem Genius der Zeit eine Richtung gegeben, die ihn je mehr und mehr von der Kunst des Ideals zu entfernen droht. Diese muß die Wirklichkeit verlassen und sich mit anständiger Kühnheit über das Bedürfniß erheben; denn die Kunst ist eine Tochter der Freiheit, und von der Nothwendigkeit der Geister, nicht von der Nothdurft der Materie will sie ihre Vorschrift empfangen. Jetzt aber herrscht das Bedürfniß und beugt die gesunkene Menschheit unter sein tyrannisches Joch. Der Nutzen ist das große Ideal der Zeit, dem alle Kräfte frohnen und alle Talente huldigen sollen. Auf dieser groben Waage hat das geistige Verdienst der Kunst kein Gewicht, und aller Aufmunterung beraubt, verschwindet sie von dem lärmenden Markt des Jahrhunderts.

[Johann Friedrich Schiller. „Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen, in einer Reihe von Briefen“ in Schillers Sämmtliche Werke,4. Band, Stutgart, 1879, S. 560  – via gutenberg.spiegel.de]

GG, Artikel 5

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

 

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

[Artikel 5, Gundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, ausgefertigt am 23.5.1949]

Triumph der Reklame

„Alle sind frei, zu tanzen und sich zu vergnügen, wie sie, seit der geschichtlichen Neutralisierung der Religion, frei sind, in eine der zahllosen Sekten einzutreten. Aber die Freiheit in der Wahl der Ideologie, die stets den wirtschaftlichen Zwang zurückstrahlt, erweist sich in allen Sparten als die Freiheit zum Immergleichen.

Die Art, in der ein junges Mädchen das obligatorische date annimmt und absolviert, der Tonfall am Telephon und in der vertrautesten Situation, die Wahl der Worte im Gespräch, ja, das ganze nach den Ordnungsbegriffen der heruntergekommenen Tiefenpsychologie aufgeteilte Innenleben bezeugt den Versuch, sich selbst zum erfolgsadäquaten Apparat zu machen, der bis in die Treibregungen hinein dem von der Kulturindustrie präsentierten Modell entpricht.

Die intimsten Reaktionen der Menschen sind ihnen selbst gegenüber so vollkommen verdinglicht, daß die Idee des ihnen Eigentümlichen nur in äußerster Abstraktheit noch fortbesteht: personality bedeutet ihnen kaum mehr etwas anderes als blendend weiße Zähne und Freiheit von Achselschweiß und Emotionen.

Das ist der Triumph der Reklame in der Kulturindustrie, die zwangshafte Mimesis der Konsumenten an die zugleich durchschauten Kulturwaren.“

[Horkheimer, Adorno 1947 in „Dialektik der Aufklärung“, Frankfurt/M. 2008, S.176]