Schlagwort-Archiv: Foucault

Analyse als Mittel der Machtausübung

„Dieser geschlossene, parzellierte, lückenlos überwachte Raum, innerhalb dessen die Individuen in feste Plätze eingespannt sind, die geringsten Bewegungen kontrolliert und sämtliche Ereignisse registriert werden, eine ununterbrochene Schreibarbeit das Zentrum mit der Peripherie verbindet, die Gewalt ohne Teilung in einer bruchlosen Hierarchie ausgeübt wird, jedes Individuum ständig erfaßt, geprüft und unter die Lebenden, die Kranken und die Toten aufgeteilt wird – dies ist das kompakte Modell einer Disziplinierungsanlage.

Auf die Pest antwortet die Ordnung, die alle Verwirrungen zu entwirren hat: die Verwirrungen der Krankheit, welche sich überträgt, wenn sich die Körper mischen, und sich verfielfältigt, wenn Furcht und Tod die Verbote auslöschen. Die Ordnung schreibt jedem seinen Platz, jedem seinen Körper, jedem seine Krankheit und seinen Tod, jedem sein Gut vor: kraft einer allgegenwärtigen und allwissenden Macht, die sich einheitlich bis zur letzten Bestimmung des Individuums verzweigt – bis zur Bestimmung dessen, was das Individuum charakterisiert, was ihm gehört, was ihm geschieht. Gegen die Pest, die Vermischung bringt, bringt die Disziplin ihre Macht, die Analyse ist, zur Geltung.“

[Michel Foucault in „Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses“ übersetzt von Walter Seitter, Frankfurt am Main, 1976, S.253/254]

Foucault schreibt über den Umgang mit der Pest am Ende des 17. Jahrhunderts und spannt schließlich den Bogen zur Entwicklung des modernen Gefängnisses im 20. Jahrhundert, das er verbunden sieht mit einer bestimmten Art der Überwachungs-Architektur (das Panoptikum von Bentham). Er wusste noch nichts von raumlosen Netz-Algorithmen, Data-Mining und Web-Personalisierung.

Innen und Außen

„Jeder rein reflexive Diskurs droht die Erfahrung des Außen in die Dimension der Innerlichkeit zurückzuholen. Die Reflexion hat die unbesiegbare Tendenz, sie wiederum im Bewußtsein zu beheimaten und sie in einer Beschreibung des Gelebten zu entfalten, wo sich das ‚Außen‘ als Erfahrung des Leibes, des Raumes, der Grenzen des Wollens, der unauslöschlichen Gegenwart des anderen abzeichnete. Aber auch das Vokabular der Fiktion ist gefährlich: im Reichtum der Bilder, aber auch in der Transparenz der neutralsten und hastigsten Figuren, könnte es Bedeutungen evozieren, die bereits bekannt sind und unter dem Vorwand eines imaginären Außen von neuem das alte Gewebe der Innerlichkeit fortspinnen.“

[Michel Foucault in „Von der Subversion des Wissens“, übersetzt von Walter Seitter, Frankfurt/Main, 1987, S. 51]

Wissen und Macht

„Man muß wohl auch einer Denktradition entsagen, die von der Vorstellung geleitet ist, daß es Wissen nur dort geben kann, wo die Machtverhältnisse suspendiert sind, daß das Wissen sich nur außerhalb der Befehle, Anforderungen, Interessen der Macht entfalten kann. Vielleicht muß man dam Glauben entsagen, daß die Macht wahnsinnig macht und daß man nur unter Verzicht auf Macht ein Wissender werden kann. Eher ist wohl anzunehmen, daß die Macht Wissen hervorbringt (und nicht bloß fördert, anwendet, ausnutzt); daß Macht und Wissen einander unmittelbar einschließen, daß es keine Machtbeziehung gibt, ohne daß sie ein entsprechendes Wissensfeld konstitutiert, und kein Wissen, das nicht gleichzeitig Machtbeziehungen voraussetzt und konstitutiert.

Diese Macht/Wissen-Beziehungen sind darum nicht von einem Erkenntnissubjekt aus zu analysieren, das gegenüber dem Machtsystem frei oder unfrei ist. Vielmehr ist in Betracht zu ziehen, daß das erkennende Subjekt, das zu erkennende Objekt  und die Erkenntnisweisen jeweils Effekte jener fundamentalen Macht/Wissen-Komplexe und ihrer historischen  Transformationen bilden. Es ist also nicht so, daß die Aktivität des Erkenntnissubjekts ein für die Macht nützliches oder gefährliches Wissen hervorbringt; sondern die Formen und Bereiche der Erkenntnis werden vom Komplex Macht/Wissen von den ihn durchdringenden und konstituierenden Prozessen und Kämpfen bestimt.“

[Michel Foucault in „Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses“, Frankfurt/Main, 1977, S.39/40]

 

Welt als

Buch?

„Der Diskurs ist nicht in ein Spiel von vorgängigen Bedeutungen aufzulösen. Wir müssen uns nicht einbilden, daß uns die Welt ein lesbares Gesicht zuwendet, welches wir nur zu entziffern haben. Die Welt ist kein Komplize unserer Erkenntnis. Es gibt keine prädiskursive Vorsehung, welche uns die Welt geneigt macht. Man muß den Diskurs als eine Gewalt begreifen, die wir den Dingen antun; jedenfalls als eine Praxis, die wir ihnen aufzwingen. In dieser Praxis finden die Ereignisse des Diskurses das Prinzip ihrer Regelhaftigkeit.“

[Michel Foucault in „Die Ordnung des Diskurses“, Frankfurt/M., 1991, S. 34]

Ein Tag wie jeder andere

„Man muss wohl die Bescheidenheit aufbringen einzugestehen, daß der Zeitpunkt des eigenen Lebens nicht der einmalige, grundlegende und umstürzende Augenblick der Geschichte ist, von dem aus sich alles vollendet und neu beginnt; gleichzeitig erfordert es Bescheidenheit, ohne Feierlichkeit zu sagen, daß der gegenwärtige Zeitpunkt ziemlich reizvoll ist und seine Analyse verlangt… Aber ohne sich ein wenig dramatisch und theaterhaft in die Brust zu werfen und von diesem Augenblick zu behaupten, er sei, in der Leere der Nacht, der Augenblick der größten Verdammnis oder der Tagesanbruch der aufgehenden Sonne.

Nein, er ist ein Tag wie jeder andere oder vielmehr ein Tag, der niemals ganz genau wie andere ist.“

 

[Michel Foucault u. Gérard Raulet in „Um welchen Preis sagt die Vernunft die Wahrheit? Ein Gespräch“ in: Spuren, Zeitschrift für Kunst und Gesellschaft, Heft 2, Seite 39; 1983]

fascination foucault

„Ich denke niemals völlig das gleiche, weil meine Bücher für mich Erfahrungen sind. Erfahrungen im vollsten Sinne, den man diesem Ausdruck beilegen kann. Eine Erfahrung ist etwas, aus dem man verändert hervorgeht. Wenn ich ein Buch schreiben soll, um das mitzuteilen, was ich schon gedacht habe, ehe ich es zu schreiben begann, hätte ich niemals die Courage, es in Angriff zu nehmen. Ich schreibe nur, weil ich noch nicht genau weiß, was ich von dem halten soll, was mich so sehr beschäftigt. So dass das Buch ebenso mich verändert wie das, was ich denke … Ich bin ein Experimentator in dem Sinne, dass ich schreibe, um mich selbst zu verändern und nicht mehr dasselbe zu denken wie zuvor.“

(Michel Foucault „Der Mensch ist ein Erfahrungstier. Gespräch mit Ducio Trombadori“, Frankfurt/M. 1997, S.24)