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Autrui

Der andere, insofern er anderer ist, ist nicht nur ein alter ego; er ist das, was ich gerade nicht bin. Er ist es nicht aufgrund seines Charakters oder seiner Physiognomie oder seiner Psychologie, sondern aufgrund seiner Andernheit selbst. Er ist zum Beispiel der Schwache, der Arme, >>die Witwe und die Waise<<, während ich der Reiche oder Mächtige bin. Man kann sagen, daß der intersubjektive Raum nicht symmetrisch ist. Das Außerhalb des andern verdankt sich nicht einfach dem Raum, der trennt, was dem Begriff nach identisch bleibt, oder irgendeiner begrifflichen Differenz, die sich durch das räumliche Außerhalbsein manifestieren würde. Das Verhältnis der Anderheit ist weder räumlich noch begrifflich. Durkheim hat das Spezifische des anderen verkannt, wenn er fragt, inwiefern der andere eher als ich selbst das Objekt einer tugendhaften Aktion ist. Rührt der wesentliche Unterschied zwischen der Liebe und der Gerechtigkeit nicht von der Bevorzugung des anderen durch die Liebe her, während doch vom Gesichtspunkt der Gerechtigkeit aus überhaupt keine Bevorzugung möglich ist? [Emmanuel Lévinas, Die Zeit und der Andere, Hamburg, 1989, S. 55]

face-à-face

„Das Verhältnis zur Zukunft, die Anwesenheit der Zukunft in der Gegenwart, scheint sich allerdings zu vollziehen in der Situation des /Von-Angesicht-zu-Angesicht mit dem anderen. Die Situation des Von-Angesicht-zu-Angesicht wäre der eigentliche Vollzug der Zeit; das Übergreifen der Gegenwart auf die Zukunft ist nicht die Tat eines einsamen Subjekts, sondern das intersubjektive Verhältnis. Die Bedingung der Zeitlichkeit liegt im Verhältnis zwischen menschlichen Wesen oder in der Geschichte.“

[Emmanuel Lévinas, Die Zeit und der Andere, Hamburg, 1989, S. 51]

„La relation avec l’avenir, la présence de l’avenir dans le present semble encore s’accomplir dans le face-à-face avec autrui. La situation de face-à-face serai l’accomplissement même du temps; l’emplétement du présent sur l’avenir n’est pas le fait d’un sujet seul, mais la relation intersubjective. La condition du temps est dans la rapport entre humains ou dans l’histoire.“

[Emmanuel Lévinas, le temps et l’Autre, 1979]

l’avenir

„Die Zukunft des Todes, seine Fremdheit, läßt dem Subjekt keinerlei Initiative. Es gibt einen Abgrund zwischen der Gegenwart und dem Tod, zwischen dem Ich und der Anderheit des Geheimnisses. Wir haben nicht darauf insistiert, daß der Tod die Existenz anhält, daß er Ende und Nichts ist, sondern darauf, daß das Ich angesichts des Todes absolut ohne Initiative ist. Den Tod besiegen ist kein Problem des ewigen Lebens. Den Tod besiegen heißt, mit der Andernheit des Ereignisses ein Verhältnis unterhalten, das doch noch persönlich sein soll.

Welches ist also dieses persönliche Verhältnis, das etwas anderes ist als das Vermögen des Subjekts über die Welt, und das dennoch die Persönlichkeit bewahrt? Wie kann man eine Definition des Subjekts geben, die in gewisser Weise auf seiner Passivität beruht. Gibt es im Menschen eine andere Herrschaft als diese Mannhaftigkeit, als dieses Können des Könnens, des Ergreifens des Möglichen? Wenn wir sie finden, dann wird in ihr, in diesem Verhältnis, die Zeit ihren eigentlichen Ort haben. Ich habe das letzte mal gesagt, daß dieses Verhältnis das Verhältnis zum anderen ist.“

[Emmanuel Lévinas, „Die Zeit und der Andere“, Hamburg, 1989 S. 51/52 – Orginal „Le Temps et l’Autre“, 1979]