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r.echt

„In einer weit widernatürlicheren Verbindung als in der Todesstrafe, in einer gleichsam gespenstischen Vermischung, sind diese beiden Arten der Gewalt in einer andern Institution des modernen Staates, der Polizei, gegenwärtig. Diese ist zwar eine Gewalt zu Rechtszwecken (mit Verfügungsrecht), aber mit der gleichzeitigen Befugnis, diese in weiten Grenzen selbst zu setzen (mit Verordnungsrecht). Das Schmachvolle einer solchen Behörde, das nur deshalb von wenigen gefühlt wird, weil ihre Befugnisse zu den gröblichsten Eingriffen nur selten ausreichen, desto blinder
freilich in den verletzbarsten Bezirken und gegen Besonnene, vor denen den Staat nicht die Gesetze schützen, schalten dürfen, liegt darin, daß in ihr die Trennung von rechtsetzender und rechtserhaltender Gewalt aufgehoben ist. Wird von der ersten verlangt, daß sie im Siege sich ausweise, so unterliegt die zweite der Einschränkung, daß sie nicht neue Zwecke sich setze. Von beiden Bedingungen ist die Polizeigewalt emanzipiert. Sie ist rechtsetzende – denn deren charakteristische Funktion ist ja nicht die Promulgation von Gesetzen, sondern jedweder Erlaß, den sie mit Rechtsanspruch ergehen läßt – und sie ist rechtserhaltende, weil sie sich jenen Zwecken zur Verfügung stellt.

Die Behauptung, daß die Zwecke der Polizeigewalt mit denen des übrigen Rechts stets identisch oder auch nur verbunden wären, ist durchaus unwahr. Vielmehr bezeichnet das »Recht« der Polizei im Grunde den Punkt, an welchem der Staat, sei es aus Ohnmacht, sei es wegen der immanenten Zusammenhänge jeder Rechtsordnung, seine empirischen Zwecke, die er um jeden Preis zu erreichen wünscht, nicht mehr durch die Rechtsordnung sich garantieren kann. Daher greift »der Sicherheit wegen« die Polizei in zahllosen Fällen ein, wo keine klare Rechtslage vorliegt, wenn sie nicht ohne jegliche Beziehung auf Rechtszwecke den Bürger als eine brutale Belästigung durch das von Verordnungen geregelte Leben begleitet oder ihn schlechtweg überwacht. Im Gegensatz zum Recht, welches in der nach Ort und Zeit fixierten »Entscheidung« eine metaphysische Kategorie anerkennt, durch die es Anspruch auf Kritik erhebt, trifft die Betrachtung des Polizeiinstituts auf nichts Wesenhaftes. Seine Gewalt ist gestaltlos wie seine nirgends faßbare, allverbreitete gespenstische Erscheinung im Leben der zivilisierten Staaten. Und mag Polizei auch im einzelnen sich überall gleichsehen, so ist zuletzt doch nicht zu verkennen, daß ihr Geist weniger verheerend ist, wo sie in der absoluten Monarchie die Gewalt des Herrschers, in welcher sich legislative und exekutive Machtvollkommenheit vereinigt, repräsentiert, als in Demokratien, wo ihr Bestehen durch keine derartige Beziehung gehoben, die denkbar größte Entartung der Gewalt bezeugt.“

[Walter Benjamin, „Zur Kritik der Gewalt“ in: ders., Gesammelte Schriften, Vol. II.1, hg von R.Tiedemann/H.Schweppenhäuser, Frankfurt a.M., 1999, S. 179-204]

Tigersprung ins Vergangene

„Die Geschichte ist Gegenstand einer Konstruktion deren Ort nicht die homogene und leere Zeit sondern die von Jetztzeit erfüllte bildet. So war für Robespierre das antike Rom eine mit Jetztzeit geladene Vergangenheit, die er aus dem Kontinuum der Geschichte heraussprengte. Die französische Revolution verstand sich als ein wiedergekehrtes Rom. Sie zitierte das alte Rom genau so wie die Mode eine vergangene Tracht zitiert. Die Mode hat die Witterung für das Aktuelle, wo immer es sich im Dickicht des Einst bewegt. Sie ist der Tigersprung ins Vergangene. Nur findet er in einer Arena statt, in der die herrschende Klasse kommandiert.“

[Walter Benjamin in „Über den Begriff der Geschichte“, 1940 zitiert nach „Walter Benjamin Erzählen“, Frankfurt/Main, 2007, S. 137]

Der Engel der Geschichte

„Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff , sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Munds steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muß so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.“

[Walter Benjamin in „Über den Begriff der Geschichte“, 1940]