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zeitgemäßer Geiz

„Zeitgemäß ist der Geizige, dem nichts für sich und alles für die andern zu teuer ist. Er denkt in Äquivalenten, und sein ganzes Privatleben steht unter dem Gesetz, weniger zu geben als man zurückbekommt, aber doch stets genug, daß man etwas zurückbekomme. Jeder Freundlichkeit, die sie gewähren, ist die Überlegung: ‚ist das auch nötig?‘ , ‚muß man das tun?‘ anzumerken. Ihr sicherstes Kennzeichen ist die Eile, für empfangene Aufmersamkeiten sich zu ‚revanchieren‘, um nur ja in der Verkettung der Tauschakte, bei denen man auf seine Kosten kommt, keine Lücke entstehen lassen. Weil bei ihnen alles rational, mit rechten Dingen zugeht, sind sie, anders als Harpagon und Scrooge, nicht zu überführen und nicht zu bekehren. Ihre Liebenswürdigkeit ist ein Maß ihrer Unerbittlichkeit.“

[Theo­dor W. Ador­no in „Mi­ni­ma Mo­ra­lia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben“ – Text aus dem 15. Apho­ris­mus, Frankfurt a. Main, 2001, S.49]

Umtausch nicht gestattet

„Die Men­schen ver­ler­nen das Schen­ken. Der Ver­let­zung des Tausch­prin­zips haf­tet etwas Wi­der­sin­ni­ges und Un­glaub­wür­di­ges an; da und dort mus­tern selbst Kin­der miß­trau­isch den Geber, als wäre das Ge­schenk nur ein Trick, um ihnen Bürs­ten oder Seife zu ver­kau­fen. Dafür übt man cha­ri­ty, ver­wal­te­te Wohl­tä­tig­keit, die sicht­ba­re Wund­stel­len der Ge­sell­schaft plan­mä­ßig zu­klebt. In ihrem or­ga­ni­sier­ten Be­trieb hat die mensch­li­che Re­gung schon kei­nen Raum mehr, ja die Spen­de ist mit De­mü­ti­gung durch Ein­tei­len, ge­rech­tes Ab­wä­gen, kurz durch die Be­hand­lung des Be­schenk­ten als Ob­jekt not­wen­dig ver­bun­den. Noch das pri­va­te Schen­ken ist auf eine so­zia­le Funk­ti­on her­un­ter­ge­kom­men, die man mit wi­der­wil­li­ger Ver­nunft, unter sorg­fäl­ti­ger In­ne­hal­tung des aus­ge­setz­ten Bud­gets, skep­ti­scher Ab­schät­zung des an­de­ren und mit mög­lichst ge­rin­ger An­stren­gung aus­führt. Wirk­li­ches Schen­ken hatte sein Glück in der Ima­gi­na­ti­on des Glücks des Be­schenk­ten. Es heißt wäh­len, Zeit auf­wen­den, aus sei­nem Weg gehen, den an­de­ren als Sub­jekt den­ken: das Ge­gen­teil von Ver­geß­lich­keit. Eben dazu ist kaum einer mehr fähig. Güns­ti­gen­falls schen­ken sie, was sie sich sel­ber wünsch­ten, nur ein paar Nu­an­cen schlech­ter. Der Ver­fall des Schen­kens spie­gelt sich in der pein­li­chen Er­fin­dung der Ge­schenk­ar­ti­kel, die be­reits dar­auf an­ge­legt sind, daß man nicht weiß, was man schen­ken soll, weil man es ei­gent­lich gar nicht will. Diese Waren sind be­zie­hungs­los wie ihre Käu­fer. Sie waren La­den­hü­ter schon am ers­ten Tag.

Ähn­lich der Vor­be­halt des Um­tauschs, der dem Be­schenk­ten be­deu­tet: hier hast du dei­nen Kram, fang damit an, was du willst, wenn dir’s nicht paßt, ist es mir ei­ner­lei, nimm dir etwas an­de­res dafür. Dabei stellt ge­gen­über der Ver­le­gen­heit der üb­li­chen Ge­schen­ke ihre reine Fun­gi­bi­li­tät auch noch das Mensch­li­che­re dar, weil sie dem Be­schenk­ten we­nigs­tens er­laubt, sich sel­ber etwas zu schen­ken, worin frei­lich zu­gleich der ab­so­lu­te Wi­der­spruch zum Schen­ken ge­le­gen ist.

Ge­gen­über der grö­ße­ren Fülle von Gü­tern, die selbst dem Armen er­reich­bar sind, könn­te der Ver­fall des Schen­kens gleich­gül­tig, die Be­trach­tung dar­über sen­ti­men­tal schei­nen. Selbst wenn es je­doch im Über­fluß über­flüs­sig wäre – und das ist Lüge, pri­vat so gut wie ge­sell­schaft­lich, denn es gibt kei­nen heute, für den Phan­ta­sie nicht genau das fin­den könn­te, was ihn durch und durch be­glückt –, so blie­ben des Schen­kens jene be­dürf­tig, die nicht mehr schen­ken. Ihnen ver­küm­mern jene un­er­setz­li­chen Fä­hig­kei­ten, die nicht in der Iso­lier­zel­le der rei­nen In­ner­lich­keit, son­dern nur in Füh­lung mit der Wärme der Dinge ge­dei­hen kön­nen. Kälte er­greift alles, was sie tun, das freund­li­che Wort, das un­ge­spro­chen, die Rück­sicht, die un­ge­übt bleibt. Sol­che Kälte schlägt end­lich zu­rück auf jene, von denen sie aus­geht. Alle nicht ent­stell­te Be­zie­hung, ja viel­leicht das Ver­söh­nen­de am or­ga­ni­schen Leben sel­ber, ist ein Schen­ken. Wer dazu durch die Logik der Kon­se­quenz un­fä­hig wird, macht sich zum Ding und er­friert.“

[Theo­dor W. Ador­no in „Mi­ni­ma Mo­ra­lia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben“ – 21. Apho­ris­mus, Frankfurt a. Main, 2001, S.64-66]

l’ars pour l’ars…

„Das Prinzip der idealistischen Ästhetik, Zweckmäßigkeit ohne Zweck, ist die Umkehrung des Schemas, dem gesellschaftlich die bürgerliche Kunst gehorcht: der Zwecklosigkeit für Zwecke, die der Markt deklariert. Schließlich hat in der Forderung nach Unterhaltung und Entspannung der Zweck das Reich der Zwecklosigkeit aufgezehrt. Indem aber der Anspruch der Verwertbarkeit von Kunst total wird, beginnt eine Verschiebung in der inneren ökonomischen Zusammensetzung der Kulturwaren sich anzukündigen. Der Nutzen nämlich, den die Menschen in der antagonistischen Gesellschaft vom Kunstwerk sich versprechen, ist weithin selber eben das Dasein des Nutzlosen, das doch durch die völlige Subsumtion unter den Nutzen abgeschafft wird. Indem das Kunstwerk ganz dem Bedürfnis sich angleicht, betrügt es die Menschen vorweg um eben die Befreiung vom Prinzip der Nützlichkeit, die es leisten soll. Was man den Gebrauchswert in der Rezeption der Kulturgüter nennen könnte, wird durch den Tauschwert ersetzt, anstelle des Genusses tritt Dabeisein und Bescheidwissen, Prestigegewinn anstelle der Kennerschaft. Der Konsument wird zur Ideologie der Vergnügungsindustrie, deren Institutionen er nicht entrinnen kann. Mrs. Miniver muß man gesehen haben, wie man Life und Time halten muß. Alles wird nur unter dem Aspekt wahrgenommen, daß es zu etwas anderem dienen kann, wie vage dies andere auch im Blick steht. Alles hat nur Wert, sofern man es eintauschen kann, nicht sofern es selbst etwa ist. Das ist der Gebrauchswert der Kunst, ihr Sein, gilt ihnen als Fetisch, und der Fetisch, ihre gesellschaftliche Schätzung, die sie als Rang der Kunstwerke verkennen, wird zu ihrem einzigen Gebrauchswert, der einzigen Qualität, die sie genießen. So zerfällt der Warencharakter der Kunst, indem er sich vollends realisiert.“

[M. Horkheimer, Th. Adorno in „Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente“, Frankfurt/Main, 1988 (17. Auflage von 2008), S. 167]

 

Zwei Welten

„Hierzulande gibt es keinen Unterschied zwischen dem wirtschaftlichen Schicksal und den Menschen selbst. Keiner ist etwas anderes als sein Vermögen, sein Einkommen, seine Stellung, seine Chancen. Die wirtschaftliche Charaktermasse und das, was darunter ist, decken sich im Bewußtsein der Menschen, den Betroffenen eingeschlossen, bis aufs kleinste Fältchen. Jeder ist so viel wert wie er verdient, jeder verdient so viel er wert ist. Was er ist, erfährt er durch die Wechselfälle seiner wirtschaftlichen Existenz. Er kennt sich nicht als ein anderes. Hatte die materialistische Kritik der Gesellschaft dem Idealismus einst entgegengehalten, daß nicht das Bewußtsein das Sein, sondern das Sein das Bewußtsein bestimme, daß die Wahrheit über die Gesellschaft nicht in ihren idealistischen Vorstellungen von sich selbst, sondern in ihrer Wirtschaft zu finden sei, so hat das zeitgemäße Selbstbewußtsein solchen Idealismus mittlerweile abgeworfen. Sie beurteilen ihr eigenes Selbst nach seinem Marktwert und lernen, was sie sind, aus dem, wie es ihnen in der kapitalistischen Wirtschaft ergeht. Ihr Schicksal, und wäre es das traurigste, ist ihnen nicht äußerlich, sie erkennen es an.“

[Horkheimer, Adorno 1947 in „Dialektik der Aufklärung“, Frankfurt/M. 2008, S.220]

Triumph der Reklame

„Alle sind frei, zu tanzen und sich zu vergnügen, wie sie, seit der geschichtlichen Neutralisierung der Religion, frei sind, in eine der zahllosen Sekten einzutreten. Aber die Freiheit in der Wahl der Ideologie, die stets den wirtschaftlichen Zwang zurückstrahlt, erweist sich in allen Sparten als die Freiheit zum Immergleichen.

Die Art, in der ein junges Mädchen das obligatorische date annimmt und absolviert, der Tonfall am Telephon und in der vertrautesten Situation, die Wahl der Worte im Gespräch, ja, das ganze nach den Ordnungsbegriffen der heruntergekommenen Tiefenpsychologie aufgeteilte Innenleben bezeugt den Versuch, sich selbst zum erfolgsadäquaten Apparat zu machen, der bis in die Treibregungen hinein dem von der Kulturindustrie präsentierten Modell entpricht.

Die intimsten Reaktionen der Menschen sind ihnen selbst gegenüber so vollkommen verdinglicht, daß die Idee des ihnen Eigentümlichen nur in äußerster Abstraktheit noch fortbesteht: personality bedeutet ihnen kaum mehr etwas anderes als blendend weiße Zähne und Freiheit von Achselschweiß und Emotionen.

Das ist der Triumph der Reklame in der Kulturindustrie, die zwangshafte Mimesis der Konsumenten an die zugleich durchschauten Kulturwaren.“

[Horkheimer, Adorno 1947 in „Dialektik der Aufklärung“, Frankfurt/M. 2008, S.176]

immer zu wenig

„Zarathustra predigt: ‚So viel Güte, so viel Schwäche sehe ich. So viel Gerechtigkeit und Mitleiden, so viel Schwäche.‘ In der Tat hat Mitleid ein Moment, das der Gerechtigkeit widerstreitet, mit der Nietzsche freilich es zusammenwirft. Es bestätigt die Regel der Unmenschlichkeit durch die Ausnahme, die es praktiziert. Indem Mitleid die Aufhebung des Unrechts der Nächstenliebe in ihrer Zufälligkeit vorbehält, nimmt es das Gesetz der universalen Entfremdung, die es mildern möchte, als unabänderlich hin. Wohl vertritt der Mitleidige als Einzelner den Anspruch des Allgemeinen, nämlich den zu leben, gegen das Allgemeine, gegen Natur und Gesellschaft, die ihn verweigern. Aber die Einheit mit dem Allgemeinen, als dem Inneren, die der Einzelne betätigt, erweist an seiner eigenen Schwäche sich als trügerisch. Nicht die Weichheit sondern das Beschränkende am Mitleid macht es fragwürdig, es ist immer zu wenig.

[Horkheimer, Adorno 1947 in „Dialektik der Aufklärung“, Frankfurt/M. 2008, S.110]

gehorsam aufs wort

„Den im Protestantismus unternommenen Versuch des Glaubens, das ihm transzendente Prinzip der Wahrheit, ohne das er nicht bestehen kann, wie in der Vorzeit unmittelbar im Wort selbst zu finden und diesem die symbolische Gewalt zurückzugeben, hat er mit dem Gehorsam aufs Wort, und zwar nicht aufs heilige, bezahlt.“

[Max Horkheimer, Theodor W. Adorno 1947 in „Dialektik der Aufklärung“, Frankfurt/M. 2008, S. 26]