Morgengebet
Unsichbarer Hüter der vergangenen Nacht,
Läßt das Morgenrot aufschimmern
Und zeigst mit jedem Himmelsglimmern
Die Wunder, mit denen Du die Welt bedacht:
Unergründlicher, geheimnisvoller Ewiger.
Was immer diesen Tag belebt,
Deine Hand wird leise umhegen
Und sich schützend um mich legen,
Wenn Stunde um Stunde weiterstrebt:
Umsorgender, still helfender Begleiter.
Was mir auch heute begegnet,
Deine Flüsterstimme möge mich leiten,
Mir die Spur weisen im Wirrwarr der Zeiten,
— Du bist’s, der mich segnet:
Umsichtiger, treuer Wegbereiter.
[© Karola Röder, Mai 2020]
Trauer ohne Schmerz
Ein guter Bekannter aus früheren Tagen war unerwartet gestorben. Noch jung. In der Zeitung hatte sie’s gelesen, sich die Augen reibend. Es schien so unwirklich. Dann durchzog sie der sichere Schreck: er war es – ganz sicher, niemand anders konnte es sein.
Sie blätterte weiter und fand die Todesanzeige der Familie. Frau und Kind, Vater, Mutter und Großeltern standen darunter.
Ziellos ging sie in der Wohnung umher, steckte sich eine Zigarette an, lies sie wieder verglimmen. Irgendwie war ihr als sollte sie jemanden anrufen. Jemandem erzählen, was passiert war. Da sie nicht wusste wen, nahm sie noch einmal ein Streichholz, hockte sich kauernd mit der Zigarette – Marke Stuyvesant – auf den Balkonsessel und paffte vor sich hin.
[Winter 2011, in Erinnerung an den Herrn Ö]
eine sechszeilen-geschichte
noch beim einschlafen hatte sie diesen satz im sinn: „träume nicht dein leben, lebe deinen traum“. den hatte sie vor etwa 10 stunden an der wand der kantine in der plastikfabrik gelesen. ein grotesker zusammenhang, dachte sie noch. dann fielen ihr die augen zu und sie träumte von seifendosen und zahnputzbechern in bunten farben, rot und gelb und blau. die fielen aus riesen containern, im himmel geparkt, laut scheppernd auf einen vorplatz. kinder spielten darin, als wären es große sanddünen am meer.
[© Karola Röder, April 2013, (r)eine Spielerei]
Frühling
Komm, und zeige dich!
Wirf dein blaues Band um mich.
Web mich ein in deine Düfte
Wärm die kalten Winterlüfte.
Blas ins Horn
und zögre nicht –
ich warte schon so lang auf Dich.
[© Karola Röder, März 2011 – Eduard Mörike und so]
Die Rose
(oder: die Bezaubernde bewundern, ohne sich ihrer zu bemächtigen)
Sieh sie nur an!
Ihr langarmiger Stiel
mit den Dornen daran
rankt an der Mauer hoch;
dem Himmel entgegen.
Sie trotzt dem Regen, dem Wind;
schenkt dem schwindenden Herbst ihre Blüte –
dem Wanderer, der nach ihr greift
verwehrt sie die Güte.
Oh,
lass Dich nicht schmerzen ihr dorniges Kleid,
Verweile zu Füßen der schwindenden Pracht!
Sieh,
wie sie Blatt um Blatt
ihrer Schönheit verteilt;
unbeugsam gegen den Sturm
ihr Gesicht wendet –
und endet.
[© Karola Röder, Okt 2010 – eine Antwort auf Robert Herrick (1591-1674):
„Gather ye rose-buds while ye may,
Old Time is still a-flying:
And this same flower that smiles to-day,
Tomorrow will be dying.„]
Sehn sucht
Wen sucht er?
die Sonne, die Blumen, den Regen
das Leben ganz generell
und die Liebe
Ver stört
Be schwört
Ge lehrt
Doch keiner von ihnen weiß was ich meine
Auch dieses Jahr
blühen die Rosen wieder
zarte Blühten an stachligem Halm
Ver weis
Heim- und Fernweh meint manchmal das Gleiche
[© Karola Röder, Mai 2009]
Ende der Baustelle
Sie war eine fleißige Ameise. Sie arbeitete von früh bis spät und gönnte sich tagsüber kaum Ruhe. Bei aller Arbeit blieb sie stets freundlich und ausgeglichen – auch unter schweren Belastungen. Das galt als Besonderheit auf der Baustelle. In ihrer Kolonie war sie beliebt. Bei kleinen Verschnaufpausen wurden angenehme Worte gewechselt, die gute Zusammenarbeit gelobt und Pokerabende für den Feierabend verabredet. Ihre Genossinnen sahen sie gerne – bis zu dem Tag, an dem sie der Baustelle für immer den Rücken kehrte. Ihre Last lag etwas verloren am großen, grauen Stein, gleich links neben dem Eingang zur Baustelle. Irgendjemand hatte sie noch weggehen sehen, wollte noch fragen wohin, aber da war sie schon in der weiten, grünen Blumenwiese verschwunden.
[© Karola Röder, März 2009]
k o m f o r m i s t
er ist nicht einsam
ist manchmal allein
er ist nicht traurig
möcht glücklicher sein
am abend zu haus
blickt er aus
und er sieht seine welt
die morgen ihn treibt
gegen geld
seine seele zerreibt
ihn gefangen hält
und er klagt
und er zagt
und er bleibt
[© Karola Röder, Dez 2008 – eigentlich ein Gemeinschaftswerk mit dem Lieblingsehemann…]
Du bist
noch da, noch in Gedanken nah
trotz Zeit und Strecke zwischen uns.
Diesmal
bist du nicht für immer weggegangen
irgendetwas ist geblieben.
Noch weiß ich nicht was,
doch ich bin sicher, dass
du bleibst.
[© Karola Weber, Januar 1997]