Tragödie der Kultur

„Was man als die Behangenheit und Überladung unseres Lebens mit tausend Überflüssigkeiten beklagt, von denen wir uns doch nicht befreien können, als das fortwährende „Angeregtsein“ des Kulturmenschen“, den all dies doch nicht zu eigenem Schöpfertum anregt, als das bloße Kennen oder Genießen von tausend Dingen, die unsere Entwicklung nicht in sich einbeziehen kann und die als Ballast in ihr liegen bleiben – all diese oft formulierten spezifischen Kulturleiden sind nichts anderes, als die Phänomene jener Emanzipation des objektivierten Geistes.

Dass diese besteht, bedeutet eben, dass die Kulturinhalte schließlich einer von ihrem Kulturzweck unabhängigen und von ihm immer weiter abführenden Logik folgen, ohne dass doch der Weg des Subjektes von all diesem, qualitativ und quantitativ unangemessen gewordenen, entlastet wäre.

Vielmehr, da dieser Weg, als kultureller, durch das Selbständig- und Objektivwerden der seelischen Inhalte bedingt ist, so entsteht die tragische Situation, dass die Kultur eigentlich schon in ihrem ersten Daseinsmomente diejenige Form ihrer Inhalte in sich birgt, die ihr inneres Wesen: den Weg der Seele von sich als der unvollendeten zu sich selbst als der vollendeten – wie durch eine immanente Unvermeidlichkeit abzulenken, zu belasten, ratlos und zwiespältig zu machen bestimmt ist.“

[Georg Simmel in „Philosophische Kultur“, 1919]