Weisheit und Liebe

„Keiner der Götter philosophiert oder begehrt weise zu werden, denn sie sind es bereits; auch wenn sonst jemand weise ist, philosophiert er nicht. Ebensowenig philosophieren wiederum die Unverständigen, noch begehren sie weise zu werden. Denn das eben ist das Verderbliche am Unverstand, daß man, ohne schön, gut und verständig zu sein, dennoch sich selber genug dünkt. Wer nun nicht glaubt, bedürftig zu sein, der begehrt auch dessen nicht, wessen er nicht zu bedürfen glaubt.

Wer sind denn also, Diotima, fragte ich, die Philosophierenden, wenn es doch weder die Weisen noch die Unwissenden sind?

Das ist doch nun wohl auch einem Kinde klar, erwiderte sie, daß es die zwischen beiden in der Mitte Stehenden sind, und zu ihrer Zahl gehört nun wiederum auch Eros. Denn gewiß zählt doch die Weisheit zu dem Allerschönsten; die Liebe aber ist auf alles Schöne gerichtet: folglich ist Eros ein Philosoph; als Philosoph aber steht er in der Mitte zwischen einem Weisen und einem Unwissenden.“

[aus „Das Gastmahl“ von Platon, ca. 380 v. Chr. nach der deutschen Übersetzung von Franz Susemihl, 1855]

 

„Aber woher Sokrates, weißt du mir denn was schön ist und was schlecht?“