Kein reines Licht

„Der menschliche Verstand zieht in das, was er einmal als wahr angenommen hat, weil es von Alters her gilt und geglaubt wird, oder weil es gefällt, auch alles Andere hinein, um Jenes zu stützen und mit ihm übereinstimmend zu machen. Und wenn auch die Bedeutung und Anzahl der entgegengesetzten Fälle grösser ist, so bemerkt oder beachtet der Geist sie nicht oder beseitigt und verwirft sie mittelst Unterscheidungen zu seinem grossen Schaden und Verderben, nur damit das Ansehn jener alten fehlerhaften Verbindungen aufrecht erhalten bleibe….

Der menschliche Geist ist kein reines Licht, sondern erleidet einen Einfluss von dem Willen und den Gefühlen. Dies erzeugt jene »Wissenschaften für Alles, was man will«; denn was man am liebsten als das Wahre haben mag, das glaubt man am leichtesten. Der Geist verwirft deshalb das Schwere, weil ihm die Geduld zur Untersuchung fehlt; desgleichen das Maßhaltende, weil es die Hoffnungen beschränkt; das Höhere in der Natur aus Aberglauben; das Licht der Erfahrung aus Hochmuth und Anmaßung, damit es nicht scheine, als beschäftige sich der Geist mit Niedrigem und Vergänglichem; endlich das sonderbar Klingende wegen der Meinungen der Menge. Auf unzählige und oft unbemerkbare Weise drängt sich das Gefühl in das Denken und steckt es an…“

[aus Francis Bacon, Neues Organon, 1620 – in deutscher Übersetzung nach Julius Heinrich von Kirchmann von 1870]