„Schon jetzt hat die Politik es ständig mit sebstgeschaffenen Wirklichkeiten zu tu. Die Bedürfnisse, die Unerfreulichkeiten, die fast unlösbaren Probleme, denen sie sich gegenüber gestellt sieht, sind zum Teil ihr eigenes Werk. Man denke nur an das Thema Bürokratie. Daraus muß, über kurz oder lang, ein gebrochenes Verhältnis zu den eigenen Zielen folgen.
Die Politik hilft sich in dieser Situation mit relativer Kurzfristigkeit der Kalküle, der Zeithorizonte, der Zielsetzungen. Allgemein verkürzt sich in hochkomplexen Gesellschaften vermutlich der für das Handeln relevante Zeithorizont, weil die Verhältnisse für längerfristige Planung zu komplex sind. Der Politik ist außerdem durch den kurzfristigen Rhythmus der Wahlen eine eigene Zeitstruktur auferlegt. Bei kurzen Zeithorizonten können zahlreiche Interdependenzen ignoriert werden. Sie treten nicht in Erscheinung. Im Blick auf die Vergangenheit kann man vernachlässigen, daß man die Probleme mit genau den Prinzipien erzeugt hat, denen man weiterhin zu folgen gedenkt. Und man kann in Bezug auf die Zukunft hoffen, daß die weitläufigen und unübersehbaren Folgen der Jetztzeitplanung im Rahmen des Kontrollierbaren bleiben werden. Kurze Zeithorizonte entlasten das Handeln, und dieser Vorteil ist nicht gering zu veranschlagen.“
[Niklas Luhmann, Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat, München, 1981, S.10 und 11]