remember: re:publica 2009

„…“Wenn du einen Apfel hast und ich habe einen Apfel und wir tauschen die Äpfel, wird jeder von uns nach wie vor einen Apfel haben. Aber wenn du eine Idee hast und ich habe eine Idee und wir tauschen diese Ideen aus, dann wird jeder von uns zwei Ideen haben…

…Nun geht es um Fragen wie die, was eigentlich freie Meinungsäußerung bedeutet, wenn sie plötzlich tatsächlich stattfindet – nicht mehr nur handverlesen auf Leserbriefseiten oder in repräsentativen Debatten, an denen ein paar ausgewählte Talkgäste teilnehmen, sondern wenn plötzlich haufenweise und ungebremst drauflosgemeint wird. In Kommentarfächern und Foren wird etwas Neues erlebbar, etwas Schönes und Schauerliches, nämlich die unrasierten und ungewaschenen Formen von Meinungsäußerung.

Das Meinen ist wilder, vitaler und unkontrollierter geworden. Wirklich entsetzlich aber wäre die Vorstellung einer harmonischen Blogosphäre, in der alle nett zueinander sind und in Pilzhäuschen wohnen, umgeben von Hühnern, die aus Freundlichkeit tot umfallen, damit niemand ihnen den Hals umdrehen muß, wenn er eines mit Salat und Pommes essen möchte…

…Vor einiger Zeit berichtete der britische “Guardian” von einem Mann, der seit 40 Jahren seine Nachbarschaft unterminiert. William Lyttle, den die Nachbarn den Maulwurfmann nennen, gräbt von seinem Haus im Londoner Stadtteil Hackney aus seit den späten sechziger Jahren Tunnel. Er vernetzt den Untergrund. Behördliche Messungen mit Ultraschallscannern gaben Hinweise auf bis zu acht Meter tiefe Tunnels, die von Lyttles Haus an die 20 Meter in alle Richtungen ausstrahlen. Ein Nachbar berichtet, dass der Strom auf einer Straßenseite ausgefallen war, als der Maulwurfmann einmal eine Starkstromleitung angegraben hatte. Lyttle behauptet, er habe sich ursprünglich einen Weinkeller graben wollen, der im Lauf der Zeit etwas größer geworden sei. Vor fünf Jahren war der Gehsteig vor dem Haus eingebrochen. “Man konnte die ganzen Tunnel darunter sehen”, sagt eine Nachbarin. Ein anderer Nachbar bringt zum Ausdruck, was Briten für Exzentriker empfinden: “Wir möchten nicht, dass diesem Mann etwas Böses geschieht. Er arbeitet hart. Bedauerlicher Weise setzt er seine Energien nicht in die richtige Richtung ein.

Das ist Gemeinschaftsgeist. In einer solchen vernetzten Gesellschaft möchte ich leben.“

 

[Peter Glaser auf der re:publica 2009, in Berlin am 2.4.2009 . „In was für einer digitalen Gesellschaft wollen wir leben?“]