Kategorie-Archiv: 17. Jahrhundert

errare humanum est…

„Wenn ich nun nicht klar und deutlich genug erfasse, was wahr ist, so ist klar, daß ich recht daran tue und mich nicht täusche, wenn ich mich des Urteils enthalte; daß ich aber von meiner Freiheit nicht den richtigen Gebrauch mache, wenn ich irgend etwas behauptete oder leugnete. Wendete ich mich der falschen Seite zu, so irrte ich mich völlig, wählte ich aber die andere, so träfe ich zwar zufällig auf die Wahrheit, wäre aber darum nicht von Schuld frei, da ja das natürliche Licht augenscheinlich macht, daß die Verstandeserkenntnis stets der Willensbestimmung vorhergehen muß. Und in diesem unrichtigen Gebrauche meiner Wahlfreiheit liegt der Mangel, welcher den Begriff des Irrtums ausmacht…

Und außerdem, wenn ich mich auch nicht auf die erste Art von Irrtum bewahren kann, die nämlich eine klare Einsicht in all das voraussetzt, was zu erwägen ist, so kann ich es doch auf die zweite, die nur vorraussetzt, sich gegenwärtig zu halten, daß man sich des Urteils enthalten soll, sooft nicht klar ist, wie es mit einer Sache in Wahrheit bestellt ist. Denn zwar bin ich mir meiner Schwäche bewußt, nicht stets bei einer und derselben Erkenntnis beharren zu können; dennoch kann ich durch aufmerksames und häufig wiederholtes Nachdenken bewirken, daß ich mich ihrer, sooft es nötig ist, erinnere und mir so eine gewisse Gewohnheit, nicht zu irren, erwerbe.“

[René Descartes, Meditationes de prima philosophia (lateinisch-deutsch), Hamburg, 1959, S. 109 und 113]

cogito ergo sum

„Ich setze also voraus, daß alles, was ich sehe, falsch ist, ich glaube, daß nichts jemals existiert hat, was das trügerische Gedächtnis mir darstellt: ich habe überhaupt keine Sinne; Körper, Gestalt, Ausdehnung, Bewegung und Ort sind nichts als Chimären. Was also bleibt Wahres übrig? Vielleicht nur dies eine, daß nichts gewiß ist.

Indessen, ich habe mir eingeredet, daß es schlechterdings nichts in der Welt gibt: keinen Himmel, keine Erde, keine denkenden Wesen, keine Körper, also doch auch wohl mich selbst nicht? Keineswegs; sicherlich war ich, wenn ich mir etwas eingeredet habe.- Aber es gibt einen, ich weiß nicht welchen, allmächtigen und höchst verschlagenen Betrüger, der mich geflissentlich stets täuscht. – Nun, wenn er mich täuscht, so ist es also unzweifelhaft, daß ich bin. Er täusche mich, soviel er kann, niemals wird er doch fertigbringen, daß ich nichts bin, solange ich denke, daß ich etwas sei.“

[René Descartes in „Meditationen über die Grundlagen der Philosophie“, 1642 veröffentlicht in „Meditationes de prima Philosophia“, hrsg. von Lüder Gäbe, Hamburg, 1959, S. 43]

Herz und Vernunft

„Das Herz hat seine Gründe, welche die Vernunft nicht kennt; man fühlt es auf tausenderlei Weise. Es liebt von Natur das höchste Wesen und sich selbst, je nachdem es sich jenen Gründen hingiebt, und es verhärtet sich gegen das eine und das andre, nach seiner Wahl. Du hast eine verworfen und das andre behalten, ist das aus Gründen?“

[Blaise Pascal: Gedanken über die Religion, entstanden etwa zwischen 1656 und 1662. Der Text folgt der Übersetzung von Karl Adolf Blech von 1840]

wahres Glück?

„Aber unglücklich wie wir sind und unglücklicher als wenn es nichts Großes in unserm Wesen gäbe, haben wir eine Vorstellung vom Glück und können nicht dahin gelangen, wir empfinden einen Schimmer von Wahrheit und besitzen nur die Lüge, gleich unfähig nicht zu wissen und zuverlässig zu wissen, so sehr ist es offenbar, daß wir auf einer Stufe von Vollkommenheit gewesen sind, von der wir unglücklich herabfallen.


Was predigt uns denn dies heiße Verlangen und dieses Unvermögen, was anders als, daß es einstmals im Menschen ein wahres Glück gab, von welchem ihm jetzt nichts übrig ist als die Erinnerung und die ganz leere Spur, die er vergebens mit allem, was ihn umgiebt, aus zu füllen unternimmt, indem er in den Dingen, die nicht da sind, die Hilfe sucht, welche er von den gegenwärtigen nicht erhält und welche weder die einen noch die andern im Stande sind ihm zu geben, weil dieser unendliche Abgrund nur ausgefüllt werden kann durch einen unendlichen und unveränderlichen Gegenstand?“

 

[Blaise Pascal: Gedanken über die Religion, entstanden etwa zwischen 1656 und 1662. Der Text folgt der Übersetzung von Karl Adolf Blech von 1840]

 

langsam gehen

„Der gesunde Verstand ist das, was in der Welt am besten vertheilt ist; denn Jedermann meint damit so gut versehen zu sein, dass selbst Personen, die in allen anderen Dingen schwer zu befriedigen sind, doch an Verstand nicht mehr, als sie haben, sich zu wünschen pflegen.

Da sich schwerlich alle Welt hierin täuscht, so erhellt, dass das Vermögen, richtig zu urtheilen und die Wahrheit von der Unwahrheit zu unterscheiden, worin eigentlich das besteht, was man gesunden Verstand nennt, von Natur bei allen Menschen gleich ist, und dass mithin die Verschiedenheit der Meinungen nicht davon kommt, dass der Eine mehr Verstand als der Andere hat, sondern dass wir mit unseren Gedanken verschiedene Wege verfolgen und nicht dieselben Dinge betrachten.

Denn es kommt nicht blos auf den gesunden Verstand, sondern wesentlich auch auf dessen gute Anwendung an. Die grössten Geister sind der grössten Laster so gut wie der grössten Tugenden fähig, und auch die, welche nur langsam gehen, können doch weit vorwärts kommen, wenn sie den geraden Weg einhalten und nicht, wie Andere, zwar laufen, aber sich davon entfernen….“

[René Descartes in Abhandlung über die Methode, richtig zu denken und Wahrheit in den Wissenschaften zu suchen; 1637. Text nach der Übersetzung durch Julius Heinrich von  Kirchmann von 1870]

 

Ich glaube, er meint das gar nicht ironisch.

Kein reines Licht

„Der menschliche Verstand zieht in das, was er einmal als wahr angenommen hat, weil es von Alters her gilt und geglaubt wird, oder weil es gefällt, auch alles Andere hinein, um Jenes zu stützen und mit ihm übereinstimmend zu machen. Und wenn auch die Bedeutung und Anzahl der entgegengesetzten Fälle grösser ist, so bemerkt oder beachtet der Geist sie nicht oder beseitigt und verwirft sie mittelst Unterscheidungen zu seinem grossen Schaden und Verderben, nur damit das Ansehn jener alten fehlerhaften Verbindungen aufrecht erhalten bleibe….

Der menschliche Geist ist kein reines Licht, sondern erleidet einen Einfluss von dem Willen und den Gefühlen. Dies erzeugt jene »Wissenschaften für Alles, was man will«; denn was man am liebsten als das Wahre haben mag, das glaubt man am leichtesten. Der Geist verwirft deshalb das Schwere, weil ihm die Geduld zur Untersuchung fehlt; desgleichen das Maßhaltende, weil es die Hoffnungen beschränkt; das Höhere in der Natur aus Aberglauben; das Licht der Erfahrung aus Hochmuth und Anmaßung, damit es nicht scheine, als beschäftige sich der Geist mit Niedrigem und Vergänglichem; endlich das sonderbar Klingende wegen der Meinungen der Menge. Auf unzählige und oft unbemerkbare Weise drängt sich das Gefühl in das Denken und steckt es an…“

[aus Francis Bacon, Neues Organon, 1620 – in deutscher Übersetzung nach Julius Heinrich von Kirchmann von 1870]