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sich selbst erneuern…

„Man liebt es, sich zuzeiten aufs Land, ins Gebirge, an die See zurückzuziehn. Auch du sehnst dich vielleicht dahin. Im Grunde genommen aber steckt dahinter eine große Beschränktheit. Es steht dir ja frei, zu jeglicher Stunde dich in dich selbst zurückzuziehn, und nirgends finden wir eine so friedliche und ungestörte Zuflucht als in der eignen Seele, sobald wir nur etwas von dem in uns tragen, was wir nur anzuschauen brauchen, um uns in eine vollkommen ruhige und glückliche Stimmung versetzt zu sehn — ­eine Stimmung, die nach meiner Ansicht freilich ein anständiges, sittliches Wesen bedingt.

Auf diese Weise also ziehe dich beständig zurück, um dich immer wieder auf zufrischen. Einfach und klar und bestimmt aber seien jene Ideen, die aus deiner Seele so manches hinweg spülen, wenn du sie dir vergegenwärtigst, und dir eine Zuflucht schaffen sollen, aus der du nicht übel launisch zurückkehrst. Und was sollte dich auch alsdann verdrießen?

“Die Schlechtigkeit der Menschen?” Aber wenn du bedenkst, daß die vernünftigen Wesen füreinander geboren sind, daß das Ertragen des Unrechts zur Gerechtigkeit gehört, daß die Menschen unfreiwillig sündigen, und dann — ­wie viel streitsüchtige, argwöhnische, gehässige und gewalttätige Menschen dahin gemußt haben und nun ein Raub der Verwesung sind — ­wirst du da deine Abneigung nicht los werden?

“Oder ist es dein Schicksal?” So erinnere dich nur jenes Zwiefachen: entweder wir sagen: es gibt eine Vorsehung, oder: wir sehen uns als Teile und Glieder eines Ganzen an, und unserer Betrachtug der Welt liegt die Idee eines Reiches zugrunde.

“Oder ist es dein Leib, der irgendwie schmerzt?” Aber du weißt ja, der Geist, wenn er sich selbst begriffen und seine Macht kennen gelernt hat, hängt nicht ab von sanfteren oder rauheren Lüften; auch weißt du, wie wir über Schmerz und Freude denken, und bist einverstanden damit.

“Oder macht dir der Ehrgeiz zu schaffen?” Aber wie schnell breitet Vergessenheit über alles ihren Schleier! wie unablässig drängt eins das andere in dieser Welt ohne Anfang und ohne Ende! Wie nichtig ist jeder Nachklang unseres Tuns! wie veränderlich und wie urteilslos jede Meinung, die sich über uns bildet und wie eng der Kreis, in dem sie sich bildet! Die ganze Erde ist ja nur ein Punkt im All, und wie klein ist nun wieder der Winkel auf ihr, wo von uns die Rede sein kann! Wie viele können es sein, und was für welche, die unsern Ruhm verkünden?

In der Tat also gilt es sich zurückzuziehen auf eben diesen kleinen Raum, der unser ist, und hier sich weder zerstreuen, noch einspannen zu lassen, sondern sich frei zu bewegen und die Dinge anzusehen wie ein Mensch, wie ein Glied der Gesellschaft, wie ein sterbliches Wesen. Unter allen Wahrheiten aber, die dir am geläufigsten sind, müssen jedenfalls die beiden sein: die eine: daß Außendinge die Seele nicht berühren dürfen, sondern wirklich Außendinge sein und bleiben müssen. Denn Widerwärtigkeiten gibt es nur für den, der sie dafür hält. Die andere: daß alles, was du siehst, sich bald verwandeln und nicht mehr sein werde, wie du selbst schon eine Menge Wandlungen durchgemacht hast. Mit einem Wort: die Welt ist ein ewiger Wechsel, das Leben ein Wahn!

[Marc Aurel, Selbstbetrachtungen 4. Buch, Kapitel 3, zitiert nach Ebook-Veröffentlichung des Gutenberg-Projekts vom February 12, 2005 (EBook #15028), die Übersetzung folgt Schneider (1862) und Cleß (1866)]

spielend das Leben leben

„Die menschlichen Angelegenheiten sind zwar großen Ernstes nicht wert, es ist aber nun einmal notwendig, ernst zu sein; ein Glück ist es jedoch nicht. … Man muß Ernst für das aufwenden, was ernst ist, und nicht umgekehrt. Von Natur ist Gott allen seligen Ernstes wert. Der Mensch aber ist dazu gemacht, ein Spielzeug Gottes zu sein, und das ist wirklich das Beste an ihm. So muß er denn dieser Weise folgend und die schönsten Spiele spielend das Leben leben, gerade umgekehrt gesinnt als jetzt.“

[Platon in Nomoi, VII, 803-804, zitiert nach J.Huizinga, „Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel“, Hamburg, 2001 S. 229]

Schrift = Wörter, die sich in der Welt herumtreiben

„Und jedes Wort, das einmal geschrieben ist, treibt sich in der Welt herum, – gleichermaßen bei denen, die es verstehen, wie bei denen, die es in keiner Weise angeht, und es weiß nicht, zu wem es sprechen soll und zu wem nicht. Wird es mißhandelt oder zu Unrecht getadelt, dann bedarf es des Vaters immer als Helfers; denn selber hat es sich zu wehren oder sich zu helfen nicht die Kraft.“

[Platon in „Phaidros“ enstanden zwischen 387 und 367 v. Chr., zitiert aus A u. J. Assmann, „Schrift und Gedächtnis“, München, 1983]

s.t.o.a.

„Nicht die Dinge selbst, sondern die Meinungen von den Dingen beunruhigen die Menschen. So ist z.B. der Tod nichts Schreckliches, sonst wäre er auch dem Sokrates so erschienen; sondern die Meinung von dem Tod, daß er etwas Schreckliches sei, das ist das Schreckliche. Wenn wir nun auf Hindernisse stoßen, oder beunruhigt, oder bekümmert sind, so wollen wir niemals einen andern anklagen, sondern uns selbst, das heißt: unsere eigenen Meinungen. – Sache des Unwissenden ist es, andere wegen seines Mißgeschicks anzuklagen; Sache des Anfängers in der Weisheit, sich selbst anzuklagen; Sache des Weisen, weder einen andern, noch sich selbst anzuklagen.“

[Epiktet 50-138 n. Chr in „Encheridion, Handbüchlein der stoischen Moral“ nach der Übersetzung von Carl Con]

„Ich habe mich selbst gesucht.“

„Das Denken ist der größte Vorzug,

und die Weisheit besteht darin,

die Wahrheit zu sagen und

nach der Natur zu handeln,

auf sie hinhörend.

Allen Menschen ist es gegeben sich selbst zu erkennen und klug zu sein.“

 

[Heraklit aus Ephesus ((ca.550 v. Chr. – ca.475 v. Chr.) in „Fragmente“ nach der Übersetzung von Hermann Diels, 1901]

Weisheit und Liebe

„Keiner der Götter philosophiert oder begehrt weise zu werden, denn sie sind es bereits; auch wenn sonst jemand weise ist, philosophiert er nicht. Ebensowenig philosophieren wiederum die Unverständigen, noch begehren sie weise zu werden. Denn das eben ist das Verderbliche am Unverstand, daß man, ohne schön, gut und verständig zu sein, dennoch sich selber genug dünkt. Wer nun nicht glaubt, bedürftig zu sein, der begehrt auch dessen nicht, wessen er nicht zu bedürfen glaubt.

Wer sind denn also, Diotima, fragte ich, die Philosophierenden, wenn es doch weder die Weisen noch die Unwissenden sind?

Das ist doch nun wohl auch einem Kinde klar, erwiderte sie, daß es die zwischen beiden in der Mitte Stehenden sind, und zu ihrer Zahl gehört nun wiederum auch Eros. Denn gewiß zählt doch die Weisheit zu dem Allerschönsten; die Liebe aber ist auf alles Schöne gerichtet: folglich ist Eros ein Philosoph; als Philosoph aber steht er in der Mitte zwischen einem Weisen und einem Unwissenden.“

[aus „Das Gastmahl“ von Platon, ca. 380 v. Chr. nach der deutschen Übersetzung von Franz Susemihl, 1855]

 

„Aber woher Sokrates, weißt du mir denn was schön ist und was schlecht?“