Kategorie-Archiv: Gegenwart

„Der Stoff, aus dem Helden sind“

„Zusammenfassend könnte man also sagen: Was uns zu »Helden« macht, ist nicht so sehr unsere Person oder der Glaube an die »richtige« Sache, sondern eher die Fähigkeit, auch in scheinbar alternativlosen Szenarien Handlungsmöglichkeiten zu erkennen; dazu die Kunst, die richtigen Freunde und Netzwerke zu finden, sowie der Mut, den ersten Schritt zu wagen. Moralische Unterscheidungsfähigkeit wächst, wenn man sie nutzt.“

[Natalie Knapp im Artikel „Der Stoff, aus dem Helden sind“, Online-Ausgabe der ZEIT vom 12.3.2013]

lesen können

„Schlägt man die Bibel auf, stößt man schnell auf Vertrautes, und selbst wenn man sie nicht aufschlägt, meint man doch wenigstens ungefähr zu wissen, worum es geht. Schaut man aber genauer hin, so findet man Mehr, Anderes und Überraschendes. Das fängt schon an, wenn man von den bekannten Stellen ein  Stück vor- oder zurückblättert und etwa nach dem triumphalen Durchzug durch das Rote Meer plötzlich auf das gegen Gott murrende Volk Israel stößt. Aber auch die vertrauten Geschichten erweisen sich bei näherem Hinsehen oft als recht rätselhaft: Eigentlich geht es in ihnen nie so einfach zu, wie man es in Erinnerung hatte, oder die Einfachheit ist selbst bemerkenswert, ja staunenswert, wenn man sie unbefangen ansieht. Wenn man sich mit ihnen beschäftigt, reicht es daher nicht aus, zu wiederholen, was sie sagen oder was man über sie weiß, man muss auch beschreiben, wie sie sagen, was sie sagen: man muss sie lesen können.“

[Daniel Weidner in „Einleitung: Zugänge zum Buch der Bücher“ in „Bibel als Literatur“ hg. von Hans-Peter Schmidt und Daniel Weidner, München, 2008, S. 7]

 

Der Vorteil von Schubladen und Etiketten

„Es ist falsch, absurd und schmerzlich, wenn irgendjemand behauptet, dass diejenigen, die Kritik am israelischen Staat üben, antisemitisch oder, falls jüdisch, voller Selbsthass seien.

Man versucht, diejenigen, die eine kritische Auffassung vorbringen, zu dämonisieren und so ihre Sichtweise zu diskreditieren. Es handelt sich um eine Taktik, die darauf abzielt, Menschen zum Schweigen zu bringen: Was immer man sagt, es ist von vornherein abzulehnen oder so zu verdrehen, dass die Triftigkeit des Sprechakts geleugnet wird. Mit dieser Art von Vorwurf weigert man sich, die kritische Sichtweise zu erörtern, ihre Gültigkeit zu diskutieren, ihre Belege zu prüfen und zu einer vernünftig begründeten Schlussfolgerung zu kommen. Der Vorwurf ist nicht nur ein Angriff auf Menschen mit Ansichten, die manche verwerflich finden, sondern auch ein Angriff auf den vernünftigen Austausch an sich.

Wenn eine Gruppe Juden eine andere Gruppe Juden als „antisemitisch“ bezeichnet, dann versucht sie, das Recht, im Namen der Juden zu sprechen, zu monopolisieren. …“

[Judith Butler, Anwärterin auf den diesjährigen Adorno-Preis der Stadt Frankfurt in ihrer Antwort auf ihre Kritiker, am 29.8.2012 übersetzt und veröffentlicht in der ZEIT, vollständig lesbar unter http://www.zeit.de/kultur/literatur/2012-08/judith-butler-kritik-israel-antwort]

Die verborgene Wahrheit

„Jesus ist der Repräsentant der verborgenen Wahrheit dieser Erde…

Er geht seinen Weg bis zum bitteren Ende.

Er bleibt Gott und den Menschen treu bis zum letzten Atemzug.

Er lässt sich nicht in irgendeine Form der Feindschaft hineintreiben.“

 

[Walter Fäber im Vortrag „Die Macht der Ohnmächtigen“, beim Treffen der „Initiative emergente Theologie“ am 18./19. Mai 2012 in Haiger.]

aufgezeichnet unter http://emergent-deutschland.de/2012/05/27/horen-79-die-macht-der-ohnmachtigen…

 

 

Wir leben mühelos mit tausenderlei ungelösten Rätseln

„Die Leute wollen nicht mehr wissen, warum irgendwas passiert ist, nur, dass es passierte und dass die Welt voller Leichtsinn, Gefahr, Bedrohung und Unglück ist, die unsereins nur streifen, dagegen die unachtsamen, vielleicht nicht auserwählten Mitmenschen ereilen und umbringen. Wir leben mühelos mit tausenderlei ungelösten Rätseln, die uns morgens zehn Minuten beschäftigen und dann vergessen werden, ohne Unbehagen, ohne die geringste Spur zu hinterlassen.

Wir spüren die Notwendigkeit, uns in nichts mehr zu vertiefen, uns mit keinem Vorfall, keiner Geschichte länger aufzuhalten, unsere Aufmerksamkeit soll immer weiterhüpfen, sie will immer neues fremdes Unglück, als dächten wir bei jedem Einzelnen: ‚Natürlich, wie grauenvoll. Weiter. Welchen Schrecken sind wir noch entkommen? Wir müssen uns täglich als Überlebende, als Unsterbliche fühlen, den anderen zum Trotz, also her mit neuen Gräueln, die gestrigen haben wir schon verbraucht.'“

 

[Javier Marias im Roman „Die sterblich Verliebten“, aus dem Spanischen übersetzt von Susanne Lange, Frankfurt/Main, 2012, S. 46]

GG, Artikel 5

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

 

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

[Artikel 5, Gundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, ausgefertigt am 23.5.1949]

Tausche Gewißheit gegen Kontingenz

„Eben dieser metaphysischen Konvention des Hinausfragens über den Horizont des Humanen entgleitet die Kultur. Wer sich ihr zuwendet, muß den Maßstab des Absoluten aufgeben, um der Sinnfälligkeit daseinsweltlicher Erscheinungen nachzuspüren. Allerdings entfallen mit der Abwendung vom Idealismus der Wesensschau auch dessen Garantieleistungen. Das philosophische Interesse an der Kultur entspringt aus der Frage, was dem Menschen bleibt, nachdem er hat einsehen müssen, daß ihm „der Griff nach der reinen Evidenz“ (Blumenberg) mißlingt. Die philosophische Bearbeitung von Kultur setzt die Bereitschaft voraus, jenes reduktionistische, an die Erwartungen endgültiger Gewißheit gebundene Schema preiszugeben und sich der Kontingenz, aber auch dem Reichtum der Kulturwelt zu stellen.“

[Ralf Konersman, Kulturphilosophie. Zur Einführung, Hamburg, 2003, S.18]